Homayoun Ershadi in "Taste of Cherry" von Abbas Kiarostami
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Cannes, mit fünf Filmen erklärt

In Cannes wird der Kinokanon Westeuropas geschmiedet, das Filmfestival hält seinen Stars die Treue, ist aber auch hierarchisch. Und manchmal überrascht es mit Humor.

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Taste of Cherry

1997, zu sehen auf Mubi

Ob man die Filmfestspiele von Cannes mag oder nicht: Dass der Kinokanon Westeuropas hier geschmiedet wird, lässt sich nicht leugnen. „Meister“ werden an der Côte d'Azur erst zu solchen gemacht – auch wenn sie es in ihren jeweiligen Heimatländern längst gewesen sind. Musterbeispiel: der 2016 verstorbene iranische Regisseur Abbas Kiarostami. Bereits in den 1970ern revolutionierte er mit täuschend einfachen, formal raffinierten Sozialdramen (bei denen oft Kinder im Mittelpunkt stehen) die Leinwandwelt seines Heimatlands. Später entdeckte ihn (nicht nur) die frankophone Cinephilie für sich. Die Goldene Palme für sein poetisches Roadmovie „Taste of Cherry“ zementierte schließlich Kiarostamis Status als Kinodoyen des Irans in den Augen des Westens. Das schlichte Konzept des Films (ein Mann tuckert durch die Teheraner Peripherie, trifft Menschen und hadert mit dem Leben) bildet bis heute eine Schablone für viele iranische Kunstfilmer. Das zeigt sich etwa an den Arbeiten des Kiarostami-Schülers Jafar Panahi („Taxi Teheran“) – oder am heurigen Cannes-Beitrag seines Sohns Panah Panahi („Hit the Road“). Der Arthaus-Streamingdienst Mubi widmet Kiarostami derzeit eine sehenswerte „Nahaufnahme“, neben „Taste of Cherry“ läuft dort auch seine Romanze „Die Liebesfälscher“ mit Juliette Binoche.

DAS ZIMMER MEINES SOHNES La stanza del figlio I 2001 Nanni Moretti In Ancona f�hren Giovanni NA
DAS ZIMMER MEINES SOHNES La stanza del figlio I 2001 Nanni Moretti In Ancona f�hren Giovanni NA(c) imago images / United Archives (via www.imago-images.de)

Das Zimmer meines Sohnes

2001, zu sehen via La cinetek (zu kaufen ab 2,99 Euro)

Wer Cannes die Treue hält, dem hält auch Cannes die Treue. Zu den Stammgästen auf der Croisette zählt etwa der italienische Filmemacher Nanni Moretti. Ob wirklich jede seiner Arbeiten im Wettbewerb laufen müsste, ist strittig. Doch seit der Hauptpreis-Auszeichnung seines markanten bürgerlichen Trauerspiels „Das Zimmer meines Sohnes“ gehört der 67-Jährige zum exklusiven Kreis der hiesigen Regie-Koterie. Und die wird vom Intendanten Thierry Frémaux geflissentlich hofiert. Morettis Palmenfilm über den Zerfall einer Familie nach dem Tod des Sohnes lässt sich derzeit im Rahmen eines Cannes-Specials der Streamingplattform La Cinetek sichten, die acht Gewinnerfilme und drei Jurypreisträger aus der Festivalgeschichte präsentiert, darunter auch „Der Mittler“ von Joseph Losey.

Amour Fou

2014, zu sehen auf Flimmit

Cannes war schon immer eine äußerst hierarchische Angelegenheit: Wer in der Oberliga des Wettbewerbs mitspielen will, muss sich zunächst einmal in weniger glamourösen Nebenschienen bewähren. So liefen drei Filme der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner in der als Nachwuchs-Schlaglicht gedachten Sektion „Un Certain Regard“, bevor ihre Sci-Fi-Parabel „Little Joe“ 2019 in die Hauptauswahl gelangte: Hausners Debüt „Lovely Rita“, das Schauerstück „Hotel“ – und zuletzt „Amour Fou“, eine eigentümliche Liebesdramödie über das verhängnisvolle Verhältnis zwischen Henriette Vogel und Heinrich von Kleist; die Vorgeschichte von deren Doppelselbstmord wird in diesem Film neu gedeutet. Mittlerweile scheint Jessica Hausner aber wirklich Teil des Cannes-Clubs zu sein: Heuer wurde sie in die hochkarätige Wettbewerbsjury bestellt.

She's Gotta Have It

1986, zu sehen auf Netflix

Cannes pflegt gewissenhaft Beziehungen zu ein paar US-Regiegranden, die hier eine Startrampe für ihre Karrieren fanden. Etwa zu Spike Lee: Sein Langfilmdebüt, der schwarz-weiße Liebesreigen „She's Gotta Have It“, feierte vor 35 Jahren Europapremiere in Cannes. Heuer ist die Black-Cinema-Legende als Jurypräsident zu Gast.

The Square

2017, zu sehen via Amazon, Sky (ausleihbar ab 2,99 Euro)

Mit Humor haben es Festivals der Cannes-Größenordnung in der Regel nicht so. Insofern überraschte 2017, dass ein Film den Palmensieg für sich verbuchte, der zuvorderst mit Fremdschäm-Komik zu punkten wusste: Ruben Östlunds Kunstweltsatire „The Square“, in der ein ungelenker Museumskurator von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert. Freilich hat der clever inszenierte Film auch hehrere Ambitionen, will letztlich etwas über die moralische Blasiertheit des privilegierten Protagonisten und seines aparten Umfelds erzählen. Und bietet Spielraum für Interpretation: Der damalige Jurypräsident Pedro Almodóvar erkannte in „The Square“ gar eine Breitseite gegen die „Diktatur politischer Korrektheit“.

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