EU-Außengrenze

EU hat Airlines im Visier, die Migranten nach Belarus bringen

Die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze bleibt angespannt.
Die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze bleibt angespannt.via REUTERS
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Polen sieht durch die Migranten an der EU-Außengrenze eine Gefahr für "gesamte EU“. Österreichische Politiker fordern eine stärkere Rolle der EU auf der Suche nach einer Lösung. Vorerst gibt es strengere Sanktionen.

Als Reaktion auf die aktuelle Lage an der EU-Ostgrenze setzt die Europäische Union in Teilen ein Abkommen über Visa-Erleichterungen mit Belarus (Weißrussland) aus, die Amtsträger des Regimes betreffen. Weitere EU-Sanktionen sind in Vorbereitung, sie sollen den Transfer potenzieller Flüchtlinge nach Belarus reduzieren. Nach Angaben von Diplomaten könnten diese Sanktionen bereits bei dem EU-Außenministertreffen am kommenden Montag offiziell beschlossen werden.

Die erörterten Sanktionen sollen es unter anderem ermöglichen, in der EU ansässige Unternehmen zu zwingen, mit sofortiger Wirkung sämtliche Geschäftsbeziehungen zu der belarussischen Fluggesellschaft Belavia einzustellen. Dies würde unter anderem zur Folge haben, dass Flugzeugleasinggesellschaften an die Airline ausgeliehene Maschinen zurückfordern müssten. Zudem könnten auch Reiseveranstalter sowie Fluggesellschaften aus Drittstaaten ins Visier genommen werden. Öffentlich diskutiert wurde über die Rolle der halbstaatlichen, türkischen Fluggesellschaft Turkish Airlines (THY) , die Belarus laut Flugplan zehn Mal im Monat anfliegt. Von Istanbul aus gehen zurzeit täglich ein bis zwei THY-Direktflüge nach Minsk. Auch die belarussische Fluggesellschaft Belavia fliegt Minsk von Istanbul aus bis zu zweimal täglich an.

„Aggressive Akte“ gegen Polen

Die Hoffnung der EU ist, dass so nicht mehr so viele Menschen aus armen oder konfliktreichen Ländern nach Belarus kommen. Der Führung in dem Land wird vorgeworfen, gezielt Migranten ins Land zu holen, um sie dann zur Weiterreise in die EU an die Grenze zu Polen zu bringen. Die Vermutung ist, dass sich Machthaber Alexander Lukaschenko damit für Sanktionen rächen will, die die EU wegen der Unterdrückung der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition erlassen hat. "Das belarussische Regime greift die polnische Grenze, die EU in beispielloser Weise an", erklärte Staatspräsident Andrzej Duda am Dienstag in Warschau. Er sprach davon, dass sich in einem grenznahen Camp auf belarussischem Staatsgebiet etwa 1000 Migranten befänden, vor allem junge Männer. Duda bezeichnete die versuchten Grenzübertritte als "aggressive Akte", denen Polen sich entgegenstellen müsse. Dazu sei sein Land als EU-Mitglied verpflichtet.

Polen, Lettland und Litauen meldeten in den vergangenen Monaten tausende illegale Grenzübertritte aus Belarus. Die EU wirft dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko vor, Menschen aus dem Nahen Osten absichtlich nach Belarus und an die EU-Außengrenze zu lassen. In Brüssel wird vermutet, dass Lukaschenko damit Vergeltung für Brüsseler Sanktionen üben will, die im Zusammenhang mit der Niederschlagung von Protesten 2020 beschlossen worden waren.

Das belarussische Regierung wies am Dienstag internationale Anschuldigungen gegen das Land zurück. "Wir möchten die polnische Seite im Voraus davor warnen, beliebige gegen die Republik Belarus gerichtete Provokationen zu nutzen, um mögliche illegale Militäraktionen gegen benachteiligte unbewaffnete Menschen (...) zu rechtfertigen", heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Mitteilung des Außenministeriums in Minsk.

Rückendeckung für Belarus kam von Russland, das dem Westen die Schuld an der angespannten Lage gegeben hab. Die westlichen Staaten, einschließlich der Nato- und EU-Mitglieder, hätten über Jahre im Nahen Osten und in Nordafrika versucht, den Menschen ihr Leben aufzuzwingen, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag in Moskau. Russland hatte auch wiederholt beklagt, der Westen stifte in Staaten wie Afghanistan und Irak Chaos.

Litauen verhängt Ausnahmezustand

Litauen, das im Norden an Belarus grenzt, wollte am Dienstag angesichts der zugespitzten Lage an der EU-Außengrenze für einen Monat den Ausnahmezustand in der Grenzregion verhängen. Die Regierung des baltischen EU-Landes legte dem Parlament in Vilnius am Dienstag einen entsprechenden Beschluss zur Billigung vor. Der Ausnahmezustand soll demnach ab Mitternacht entlang der Grenze zu Belarus und fünf Kilometer landeinwärts gelten sowie in den Migrantenunterkünften. Österreichs Außenminister Michael Linhart (ÖVP) bezeichnete in einer Aussendung am Dienstag das Vorgehen von Belarus, Menschen zu importieren und an eine Grenze zu stellen, als "Menschenrechtsverletzung und Erpressung". Österreichs volle Solidarität gelte Polen und Litauen als leidtragende Staaten, erklärte er. "Wir müssen als Europäische Union zusammenstehen und uns entschlossen zur Wehr setzen. Das wird auch gezielte Maßnahmen gegen die Verantwortlichen in Minsk beinhalten", betonte er.

Linhart begrüßte gleichzeitig die Reise von EU-Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas in Herkunftsländer- und Transitländer der Flüchtlinge. " Wir müssen die Menschen, die sich hier freiwillig in Geiselhaft eines totalitären Regimes begeben, warnen, sich auf den Weg zu machen. Sie werden als namenlose Masse in einem zynischen Spiel missbraucht", erklärte der österreichische Außenminister, der sich derzeit auf Reisen in Zentralasien befindet. "Die EU-Kommission muss Polen bei der Sicherung der EU-Außengrenze unterstützen und die nötigen Mittel für die Errichtung eines robusten Grenzzaunes bereitstellen", betonte am Dienstag Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Hilfe bei der Registrierung von Migranten anzubieten sei hingegen ist das völlig falsche Signal, kommentierte Nehammer.

Tanner gegen „Wegducken"

Die EU sei gefordert hier endlich tätig zu werden und die Lösung des Problems dürfte nicht alleine Polen überlassen werden, kommentierte am Dienstag Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP). "Wegducken und wegschauen ist jetzt keine Option mehr", erklärte sie und forderte einen "gemeinsamen EU-Außengrenzschutz". Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und die UN-Organisation für Migration (IOM) waren am Dienstag alarmiert über die Zustände im Grenzgebiet. Sie forderten beide Regierungen auf, humanitären Helfern ungehinderten Zugang zu den Gestrandeten zu gewähren. Es müsse geprüft werden, wer Schutz brauche und es müsse denen geholfen werden, die Asyl beantragen wollten. "Die Instrumentalisierung von Migranten und Flüchtlingen, um politischer Ziele zu erreichen, ist bedauerlich und muss aufhören", teilten sie mit. Es sei inakzeptabel, die Verzweiflung von Migranten und Flüchtlingen auszunutzen und ihnen unrealistische und irreführende Versprechen zu machen.

(APA/AFP/dpa)

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