Klimarat

„Mini-Österreich“ soll Klima retten

Wanderer Gleitschirmflieger und Skifahrer sind unterwegs bei warmen Temperaturen und Schneemangel t
Wanderer Gleitschirmflieger und Skifahrer sind unterwegs bei warmen Temperaturen und Schneemangel timago/Action Pictures
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In den kommenden sechs Monaten werden 100 zufällig ausgewählte Österreicher über Klimaschutz lernen, diskutieren, streiten – und am Ende Vorschläge an die Regierung erarbeiten.

Der Jüngste ist 17, der Älteste 79 Jahre, es sind Selbstständige, Angestellte und Arbeitslose darunter, Pflichtschulabsolventen genauso wie Akademiker, sie kommen aus allen Teilen Österreichs, manche ursprünglich aus dem Ausland. Sie kennen einander nicht, das wird sich über die kommenden sechs Monate ändern.

Sie sind jene 100 Menschen, die von der Statistik Austria per Zufallsprinzip für den „Klimarat der Bürgerinnen und Bürger“ ausgewählt wurden. Am Samstag beginnen sie in einem Wiener Hotel ihre Arbeit.
„Dieses Mini-Österreich spiegelt die Bevölkerung wider und wird die Klimazukunft Österreichs aktiv mitgestalten“, sagte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler am Dienstag bei der Präsentation des neuen Gremiums, das im März 2021 von ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos im Parlament beschlossen wurde.

An sechs Wochenenden werden sich die Teilnehmer treffen, um Antworten auf zentrale Klimaschutzfragen zu finden: Wie werden wir uns in Zukunft fortbewegen? Woher wird Energie bezogen? Wie werden wir uns ernähren?

Das nötige Know-how liefern 15 Wissenschafterinnen, ein Moderationsteam begleitet den Prozess. Mitte des Jahres 2022 sollen jene ausgearbeiteten Empfehlungen, die von mindestens der Hälfte der Klimaräte mitgetragen werden, der Bundesregierung übergeben werden.

Offene Fragen

Und was passiert dann? Diese zentrale Frage blieb am Dienstag noch offen. Man werde alle Vorschläge sichten und damit weiterarbeiten, sagte Gewessler. „Aber die Entscheidungen über die Umsetzung der Empfehlungen müssen im parlamentarischen Prozess fallen.“
Katharina Rogenhofer, Initiatorin des Klimavolksbegehrens, auf deren Forderung der Klimarat zurückgeht, warnte bei der Pressekonferenz, dass der Prozess zu „keiner politischen PR-Aktion“ verkommen dürfe. „Was mit den Vorschlägen passiert, sollte im Klimaschutzgesetz stehen.“ Eine Antwort, wann dieses fertig werde, blieb Gewessler ebenfalls schuldig. Jedenfalls soll es 2022 soweit sein.

Erfahrungen aus Bürgerbeteiligungen in ihren Gemeinden lieferten zwei Bürgermeister aus Niederösterreich. „Klimapolitik ist nichts für Feiglinge“, sagte Peter Eisenschenk (ÖVP) aus Tulln, mit ihr ginge auch die Abkehr von Gewohnheiten und Verzicht einher. „Aber machen wir uns nichts vor: Wenn es uns nicht gelingt, die Bürger an Bord zu holen, werden wir die Klimakrise nicht meistern.“ Dass es funktionieren kann, habe er etwa an der Umgestaltung eines Parkplatzes mitten im Zentrum Tullns zu einem „begrünten Wohlfühlraum“ gemerkt. „Das war vor einigen Jahren noch undenkbar.“ Rainer Handlfinger (SPÖ) erinnerte an die Millionenschäden durch Ernteausfälle oder Hochwasser, mit der seine Gemeinde Ober-Grafendorf schon jetzt stark zu kämpfen habe.

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PK KLIMASCHUTZMINISTERIUM ANL. START DES ERSTEN KLIMARATES DER BUeRGER: GEWESSLER/KASER/EISENSCHENKAPA/ROBERT JAEGER

Die Klimakrise sei schon jetzt Realität, sagte auch Klimaforscher Georg Kaser, der gemeinsam mit der Umweltökonomin Birgit Bednar-Friedl den wissenschaftlichen Beirat leiten wird. Er wolle mit seinen Worten keine Angst machen, aber „wir haben noch zehn bis 20 Jahre, in denen wir die Katastrophe noch abwenden können.“ Komme man über zwei Grad globale Erderwärmung hinaus, habe die Menschheit das Spiel verloren.

50 Euro pro Tag

Die Treffen des Klimarats werden alternierend in Wien und Salzburg stattfinden, Fahrt- und Übernachtungskosten werden vom Umweltministerium übernommen, ebenso etwaige Kinderbetreuungskosten. Pro Wochenende gibt es außerdem eine Aufwandsentschädigung von 100 Euro. Sollte jemand ausfallen, stehen 20 Ersatzmitglieder bereit.

Nach einer Begrüßung durch Gewessler und Bundespräsident Alexander Van der Bellen werden am Samstag und Sonntag das gegenseitige Kennenlernen und die Bildung der Kleingruppen entlang der großen Themenblöcke (Landwirtschaft, Konsum, Mobilität etc.) im Vordergrund stehen, sagt Georg Tappeiner, der den Prozess als Projektleiter begleitet, zur „Presse“. Alle Teilnehmer wurden aber schon in den vergangenen Wochen auf ihre Aufgabe vorbereitet sowie mit Lesestoff und Videos zum Klimathema versorgt.

Im Frühling wird es außerdem eine Online-Bürgerbeteiligung geben, bei der alle Interessierten die Zwischenergebnisse des Klimarats mitdiskutieren können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2022)

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