"Es kann und darf keinen Schlussstrich geben", sagt die Leiterin der österreichischen Opferschutzkommission.
Die Leiterin der österreichischen Opferschutzkommission, Waltraud Klasnic, hat sich für eine Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der vom späteren Papst Benedikt XVI. geleiteten Diözese München und Freising ausgesprochen. "Es kann und darf keinen Schlussstrich geben", sagte Klasnic der Kathpress am Samstag. "Statt sich den Betroffenen zuzuwenden, die oft unvorstellbar Schlimmes erlebt und durchgemacht haben, wurde viele Jahre hindurch vertuscht", kritisierte sie.
Das im Auftrag der Erzdiözese erstellte Gutachten habe "in erschütternder Weise schwere Verfehlungen der Vergangenheit aufgezeigt", sagte die frühere steirische Landeshauptfrau, die seit elf Jahren als Opferschutzanwältin für die römisch-katholische Kirche Österreichs tätig ist. Entscheidend ist für sie vor allem Prävention, "damit Gewalt und Missbrauch künftig hintangehalten werden".
Als im Jahr 2010 nach einem Missbrauchsskandal in Deutschland die "Mauer des Schweigens" durchbrochen worden sei, habe die österreichische Kirche anders als jene in anderen Ländern wichtige Schritte gesetzt, so Klasnic. Sie habe damals "unter der Bedingung der völligen Unabhängigkeit" auf Ersuchen von Kardinal Christoph Schönborn den Vorsitz der neuen Kommission übernommen und habe renommierte Persönlichkeiten wie die Höchstrichterin und spätere Kanzlerin Brigitte Bierlein, den Psychiater Reinhard Haller, den früheren Jugendgerichtshofs-Präsidenten Udo Jesionek oder den ehemaligen Wiener Stadtschulratspräsidenten Kurt Scholz (SPÖ) gewinnen können.
"Seither konnten wir 2800 Entscheidungen treffen und den Betroffenen 33,3 Millionen Euro an finanziellen und therapeutischen Hilfeleistungen zuerkennen", zog Klasnic eine Zwischenbilanz. Seit einigen Jahren gebe es zusätzlich auch eine staatliche Heimopferrente - als Reaktion darauf, dass es "leider auch in vielen öffentlichen Heimen und Einrichtungen zu Gewalt und Missbrauch gekommen" sei.
Vorwürfe an emeritierten Papst
Das Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) kommt zum Ergebnis, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der bayerischen Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden und wirft den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem heute emeritierten Papst Benedikt XVI., konkret und persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vor. Von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern sprechen die Gutachter, gehen aber von einem deutlich größeren Dunkelfeld aus.
Die deutsche Staatsanwaltschaft ermittelt auf Basis des Gutachtens in insgesamt 42 Fällen. Benedikts Nachfolger Franziskus hat auch eine strenge Anwendung des Kirchenrechts im Kampf gegen Missbrauch angekündigt. Das Gutachten nährt Spekulationen, dass es einen Zusammenhang der Missbrauchsfälle mit dem im Jahr 2013 von Benedikt XVI. verkündeten Rücktritt als Papst gegeben haben könnte. Als erster Kirchenführer seit dem Mittelalter hatte der damals 85-Jährige seinen Amtsverzicht verkündet und auf gesundheitliche Gründe verwiesen.
(APA)