Kontext

Putin und das nekrophile "G'stanzl"

Wladimir Putin bediente sich bei einer Pressekonferenz einer Zeile aus einer - eigentlich recht derben - Tschastuschka.
Wladimir Putin bediente sich bei einer Pressekonferenz einer Zeile aus einer - eigentlich recht derben - Tschastuschka.REUTERS
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"Ob's gefällt oder nicht, sei geduldig, meine Schöne" zitierte Wladimir Putin eine Tschastuschka - eine Art „russisches G'stanzl“. Das Verb der ersten beiden Zeilen steht sogar auf einer Art Liste von verbotenen Wörtern.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron hat der russische Präsident Wladimir Putin am Montagabend die Ukraine ausgerechnet mit einem Zitat aus einem bekannten nekrophilen Vierzeiler aufgefordert, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen. Es blieb unklar, ob es sich dabei um ein unachtsam verwendetes Zitat ohne Hintergedanken gehandelt hat oder ob Putin die Ukraine implizit als Frauenleiche darstellen wollte, die geschändet wird.

In seiner Antwort auf eine Journalistenfrage hatte Putin zunächst betont, dass es zu den Minsker Vereinbarungen keine Alternative gebe. In Kiew sage man manchmal dazu, dass man sie einhalten werde, aber andere Male auch, dass die Umsetzung das Land zerstören würde. Der amtierende Präsident (Wolodymyr Selenskij, Anm.) habe kürzlich erklärt, dass ihm kein einziger Punkt der Minsker Vereinbarungen gefalle. Sie müssten aber umgesetzt werden, anders werde es nicht gehen.

"Ob's gefällt oder nicht, sei geduldig, meine Schöne", zitierte Putin dabei auch die letzten zwei Verse einer Tschastuschka. Tschastuschki, so der Plural, sind in der russischen Folklore verbreite Vierzeiler, die in Form und Funktion etwa den alpenländischen G'stanzln entsprechen. Das betrifft auch die Verwendung von derben Begriffen.

Unausgesprochen blieben am Montagabend bei Putin die ersten beiden Verse der betreffenden Tschastuschka, in denen von einer Frau im Sarg die Rede ist, die geschändet wird. Das dafür verwendete Verb gehört in Russland zur tabuisierten Lexik, die seit einer Verschärfung des russischen Medienrechts im Jahr 2013 nicht mehr abgedruckt werden darf.

Kontext vor allem bei älteren Russen wohl bekannt

Während bei jüngeren Russen die ausgelassenen Verse nicht zwangsläufig mitschwingen, besteht wenig Zweifel, dass die ganze Tschastuschka bei älteren Russen in Putins Generation bestens bekannt ist und jedenfalls in den Neunzehnsiebzigerjahren von sowjetischen Bohemiens oft rezitiert wurde. "Wladimir Wladimirowitsch hat wieder einmal seine Kenntnisse im Bereich der Volkskultur unter Beweis gestellt", kommentierte etwa die Moskauer "Nowaja Gaseta" am Dienstag.

Was der russische Präsident abseits einer Aufforderung an Kiew zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen mit diesem Zitat zum Ausdruck bringen wollte, ist unklar. Auch ohne den nekrophilen Teil verweisen die zwei zitierten Verse jedenfalls auf ein Verhältnis der Geschlechter, in der es noch zu keiner Emanzipation der Frau gekommen ist. Und die Ukraine wird mit einer Frau gleichgesetzt, die leiden soll.

(APA)

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