Wer jetzt noch aus Russland berichtet: etwa der ORF

Carola Schneider suchte am Sonntag im Europastudio sichtbar nach möglichen Worten.
Carola Schneider suchte am Sonntag im Europastudio sichtbar nach möglichen Worten.(c) Screenshot ORF
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Fernsehsender wie CNN oder die BBC haben sich wegen eines neuen Mediengesetzes zurückgezogen. Der ORF hat (aktuell noch) zwei Korrespondenten in Russland.

Wenn man den ORF dieser Tage zu seiner Berichterstattung in Russland befragt, reagiert der - diplomatisch gesagt - zurückhaltend. Und auch die Berichte der Korrespondenten vor Ort sind vorsichtig, tastend. Sie stehen unter dem Schatten eines neuen Mediengesetzes, über das man in den vergangenen Tagen bereits viel hörte: Bis zu 15 Jahre Haft drohen demnach für die Verbreitung von angeblichen Falschinformationen über die russischen Streitkräfte. Wie genau dieses Gesetz zu interpretieren ist, wollen viele Medien(unternehmen) nicht ausprobieren: Mehrere internationale Sender und Agenturen haben ihre Journalisten abgezogen und ihre Arbeit in Russland stark eingeschränkt oder beendet. 

Der US-Sender CNN etwa, die britische BBC. Außerdem die Nachrichtenagentur Bloomberg, Italiens RAI oder die staatliche spanische Nachrichtenagentur EFE. Auch die deutschen Sender ARD und ZDF gaben am Samstag bekannt, dass sie die Berichterstattung erst einmal aussetzen. Man wolle die Folgen des Gesetzes prüfen. Bloomberg-Chefredakteur John Micklethwait war deutlicher: Die Änderung des Gesetzes scheine darauf abzuzielen, jeden unabhängigen Journalisten zu einem Kriminellen zu machen, erklärte er. Das mache es unmöglich, "irgendeinen Anschein von normalem Journalismus im Lande fortzusetzen".

Die Washington Post dagegen wird bei ihren Berichten aus Russland keine Autoren nennen, um die Mitarbeiter zu schützen. Der Deutsche Journalisten Verband forderte inzwischen alle deutschen Auslandsreporter in Russland auf, schnellstmöglich das Land zu verlassen. Inna Hartwich, freie Korrespondentin der "Presse", ist derzeit noch in Moskau.

Carola Schneider sucht am Sonntag nach Worten

Und der ORF? Der hat jedenfalls mit Paul Krisai und Carola Schneider (derweil) noch zwei Journalisten im Moskauer Büro, was sich aber jederzeit ändern kann. Korrespondentin Miriam Beller ist zurück in Wien, um von hier aus zu berichten. Live-Schaltungen aus Russland gibt es in den Fernsehnachrichten seit dem Wochenende jedenfalls keine mehr. Am Sonntag war aber Carola Schneider bei Paul Lendvai im Europastudio zugeschaltet, wo sie sichtbar nach Worten rang. "Ein großer Teil der Russen wehrt sich nicht gegen die ... die Politik Wladimir Putins, gegen diesen ... Kurs gegen die Ukraine. Ich muss meine Worte vorsichtig wählen, es gibt seit ein paar Tagen ein quasi Zensurgesetz, das uns gewisse Dinge nicht mehr beim Namen nennen lässt." Sie müsse aufpassen, um selbst nicht als kriminell zu gelten.

Ist unter diesen Umständen Journalismus noch möglich? Am Küniglberg wird auch am Montag darüber beraten, wie man weitermachen will. Bisher hieß es recht förmlich, man werde die "Berichterstattung aus Moskau unter den gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen bestmöglich weiterführen".

Repressionen nicht neu, aber nun "echte Zensur"

In Russland waren die wenigen kritischen Medien schon zuvor eingeschränkt, vergangene Woche wurden weitere blockiert oder stellten ihre Arbeit ein, darunter auch der bekannte Radio-Sender Echo Moskwy. 

"Ich bin schockiert. Nicht nur von den Nachrichten, sondern auch von den Nachrichten über die Nachrichten", ließ der inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny aus dem Straflager heraus ausrichten. "Bald wird euer Zugang zu Informationen in der Freiheit so sein wie bei mir im Gefängnis. Das heißt: gar keiner."

Die russische Schriftstellerin und Journalistin Alissa Ganijewa hat das neue Mediengesetz und das Verschwinden unabhängiger Stimmen in ihrem Land als "riesige Katastrophe" bezeichnet. "Russland wurde mit echter Zensur bedeckt", sagte die 36-Jährige. "Das sehen wir schon an der Liste der unabhängigen Medien, die in den letzten Tagen entweder blockiert und geschlossen wurden oder gezwungen waren, nicht mehr über die russische Aggression in der Ukraine zu schreiben", so Ganijewa.

Viele ihrer Freunde, die sich öffentlich gegen den Krieg im Nachbarland ausgesprochen hätten, seien nun inhaftiert, erzählt die Autorin, die in der Vergangenheit selbst bei regierungskritischen Protesten festgenommen wurde. Repressionen gegen Medienschaffende seien in Russland zwar nicht neu, betont sie. "Aber es war die Invasion in der Ukraine, die einen Ausgangspunkt bildete für ein schnelles, hyperbeschleunigtes Wachstum von Unterdrückung und Diktatur im Land.“ Und: "Ich fürchte, dass wir bald eine schreckliche Wahl treffen müssen: entweder schweigen und unsere eigenen früheren Worte zurücknehmen oder ins Gefängnis gehen oder versuchen, in eine innere Emigration zu gehen, in eine Art Parallelsprache."

(rovi)

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