Verteidigungsausschuss im finnischen Parlament für Nato-Beitritt. Präsident Niinistö will sich am Donnerstag dazu erklären. Mit einem Beitrittsantrag ist Beobachtern zufolge in Bälde zu rechnen, auch Schweden dürfte den Weg ins westliche Bündnis antreten.
Die sich abzeichnende historische geostrategische Veränderung in Nordeuropa wird immer klarer: Im neutralen Finnland hat der Verteidigungsauschuss im Parlament am Dienstag den Beitritt des Landes zum westlichen Militärpakt Nato empfohlen. Dies sei die beste Möglichkeit, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten, hieß es am Dienstag zur Begründung und durchaus auch unter Hinweis auf die russische Invasion in der Ukraine. Die Mitgliedschaft Finnlands im Nordatlantikpakt werde die Abschreckung gegenüber einer russischen Aggression erheblich erhöhen, sagte Petteri Orpo, der Vorsitzende des Gremiums und Chef der oppositionellen Nationalen Sammlungspartei.
Staatspräsident Sauli Niinisto (73) hatte vor Wochen angedeutet, seine Haltung gegenüber dem Beitritt bis Mitte Mai zu erklären. Das wird nun für Donnerstag erwartet, man geht von einer unter Umständen recht diplomatisch formulierten Zustimmung aus. Danach könnte die Regierung schon bald ein formelles Beitrittsgesuch einbringen. Deren Chefin, Premierministerin Sanna Marin (36, eine Sozialdemokratin), dürfte ebenfalls am Donnerstag ihre (vorerst) persönliche Haltung zu dem Thema erläutern.
Helsinki akkordiert sich dabei dem Vernehmen nach mit Schweden, das ebenfalls in jüngerer Vergangenheit starke Pro-Nato-Tendenzen erkennen lässt. Manche Beobachter vermuten, dass beide neutralen Länder ihre Beitrittsanträge zeitgleich oder sogar zusammen stellen werden.
Wichtige Stellungnahme in Schweden am Wochenende
In Schweden sagte derweil Verteidigungsminister Peter Hultqvist am Dienstag, dass ein Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands der Verteidigung Nordeuropas zugutekommen würde. Er sprach auch eine gemeinsame Militärplanung im Rahmen des Bündnisses in der Region an, wobei er diesbezüglich ausdrücklich auch die Ostsee und das Baltikum erwähnte. Hultqvist, ein Sozialdemokrat, war lange Zeit gegen einen Nato-Beitritt, ist nun angesichts des Ukraine-Krieges und der Pro-Nato-Stimmung im Land aber offensichtlich pragmatisch umgeschwenkt.
Die in Schweden alleine regierenden Sozialdemokraten wollen am Sonntag ihre Nato-Position verkünden. Deren Inhalt wird jedenfalls wohl den weiteren Weg anzeigen.
Aus Russland kamen zuletzt erwartungsgemäß Warnungen für den Fall einer solchen Nato-Norderweiterung und Drohgebärden; so drangen etwa Kampfflugzeuge und Hubschrauber in schwedischen und finnischen Luftraum ein. Die Ängste ob einer möglichen russischen Militäraktion scheinen in den beiden Ländern aber mäßig zu sein. Einerseits ist der Großteil des russischen Heeres in der Ukraine gebunden und zeigt bisher nicht eben erhebliche kampfkrft. Zudem ist die Luftverteidigung Schwedens und Finnlands in Bereitschaft.
Überraschungsbesuch aus London
Der britische Premierminister, Boris Johnson, wird morgen Mittwoch derweil zu einem überraschenden Besuch in Finnland und Schweden erwartet. Das meldete die finnische Nachrichtenagentur STT unter Berufung auf eigene Quellen, später folgte eine Bestätigung aus London.
Die britische Regierung hatte in den vergangenen Monaten eine beispiellose militärische Annäherung an Schweden und Finnland demonstriert. Der britische Verteidigungsminister, Ben Wallace, gab bei einem Nato-Treffen in Kopenhagen sogar eine regelrechte Schutzgarantie für Schweden ab: Es sei nämlich ein „Teil der Familie", sagte er. Daher würde es „unverständlich sein, wenn Großbritannien Schweden im Ernstfall nicht helfen würde, auch militärisch“.
Was das konkret heißt, ist unklar, aber damit steht auch eine Militärintervention bei Bedarf im Raum. Ob der räumlichen Nähe könnte das rasch erfolgen, die Briten sind mit dem Ostseeraum und Skandinavien vertraut, auch klimatisch. Hinter den Kulissen war die britisch-schwedische Kooperation schon lange recht eng. Im Kalten Krieg gab es sogar Pläne, Schwedens Regierung im Notfall nach England zu bringen - und König Carl Gustav XVI. ist Ehrenadmiral der Royal Navy.
Finnlands heikle Sonderbeziehung zu Russland
Finnland wurde 1917 im Zuge der Russischen Revolution und der damit verbundenen Erschütterung Russlands von diesem unabhängig. 1939/40 und 1941-1944 herrschte Krieg zwischen Finnland und der UdSSR, was sich für die kleine Nation trotz bemerkenswerter zwischenzeitlicher Erfolge in den Kämpfen letztlich ungünstig auswirkte. Ein Separatfrieden mit Moskau bestätigte finnische Gebietsverluste.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bewahrte sich Finnland, das eine rund 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland hat, zwar seine Unabhängigkeit und eine bemerkenswerte Westorientierung etwa im ökonomischen und gesellschaftlichen Bereich, stand aber stets ein wenig unter der Aufsicht der UdSSR, die einen gewissen Einfluss ausübte. Daraus resultierte die jahrzehntelange Sonderstellung des Landes mit seinen heute weniger als sechs Millionen Einwohnern, das formell eine neutrale Politik zwischen den Blöcken verfolgte, aber sich auch an einen 1948 mit der Sowjetunion geschlossenen Freundschafts- und Kooperationsvertrag hielt. Die daraus folgende Politik wurde im Westen bisweilen als „vorauseilender Gehorsam" gegenüber Moskau gewertet.
Nach dem Ende des Ostblocks wandte sich Finnland zwar verstärkt dem Westen zu und unterstrich das mit dem EU-Beitritt 1995, verfolgte aber im militärischen Bereich weiter einen gegenüber Russland vorsichtigen Kurs und blieb der Nato fern. In technischer Hinsicht allerdings hat das Militär seit langem den Westschwenk vollzogen: Ein Großteil des zuvor häufig sowjetischen Geräts wurde ausgemustert, die heimische Rüstungsindustrie wurde ausgebaut und zahlreiche Systeme nicht nur in Schweden, sondern auch in Nato-Staaten beschafft, etwa deutsche Leopard-II-Panzer, amerikanische F/A-18 Hornet-Kampfflugzeuge und französische Crotale-Flugabwehrraketen.
(APA/Reuters/wg)