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Sieg für Liberaldemokraten: Die pazifistische Verfassung in Japan wackelt

Premierminister Kishida kann mit gefestigter Mehrheit in Japan weiterregieren.
Premierminister Kishida kann mit gefestigter Mehrheit in Japan weiterregieren.REUTERS
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Regierungschef Kishida will die Verteidigung des Landes "drastisch" ausbauen. Sein am Freitag erschossener Vor-Vorgänger Shinzo Abe gilt als Vordenker einer Änderung der pazifistischen Verfassung Japans.

Japans Wähler haben der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) von Ministerpräsident Fumio Kishida einen haushohen Sieg beschert und damit für politische Stabilität gesorgt. Die LDP sicherte sich bei der Oberhauswahl vom Sonntag auch ohne ihren Koalitionspartner Komeito die alleinige Mehrheit, wie japanische Medien am Montag nach Auszählung aller Stimmen berichteten.

Demnach kam die Partei zwei Tage nach dem Attentat auf den früheren Partei- und Regierungschef Shinzo Abe auf 63 der 125 zur Wahl stehenden Sitze. Die Wahlbeteiligung lag zwar mit 52 Prozent knapp über jener der vorherigen Wahl, ist aber dennoch eine der bisher niedrigsten. Dass die regierende Koalition von Kishida bei der Wahl siegen würde, war schon vor dem Attentat erwartet worden.

Änderung der pazifistischen Verfassung

Kishida hat damit eine solide Machtbasis, um die gewaltigen Herausforderungen seines Landes anzugehen. Dazu gehört etwa Japans wirtschaftliche Erholung, die von der Corona-Pandemie durch steigende Energie- und Lebensmittelpreise bedroht ist. Zudem haben Russlands Invasion in der Ukraine, Chinas wachsendes Machtstreben und Nordkoreas Atom- und Raketenprogramm die Sicherheitslage verschärft. Strukturprobleme wie die rasante Überalterung der Gesellschaft angesichts niedriger Geburtenraten, der Arbeitskräftemangel, Landflucht und die horrende Staatsverschuldung bleiben ungelöst.

Er wolle die Verteidigung des Landes "drastisch stärken", kündigte der Regierungschef folgerichtig am Montag laut der Nachrichtenagentur Kyodo an. Kishida sagte, er werde das Erbe seines zwei Tage vor der Wahl erschossenen Vorgängers Shinzo Abe fortsetzen. Dazu gehört eine Änderung der pazifistischen Nachkriegsverfassung - Abes politisches Lebensziel. Er wollte die Existenz der sogenannten Selbstverteidigungsstreitkräfte in der Verfassung verankern. Zwar erreichte er eine Änderung der Verfassung nicht, ließ sie dafür aber einfach "uminterpretieren", um die Rolle des Militärs an der Seite der heutigen Schutzmacht USA auszuweiten.

Blinken auf Kurzbesuch in Japan

Das Lager der Befürworter einer Verfassungsänderung - neben den Koalitionsparteien auch zwei konservative Oppositionsparteien - sicherte sich bei der Wahl die hierfür nötige Zweidrittel-Mehrheit. Abe glaubte, dass die Verfassung nicht der einer unabhängigen Nation entspricht, da sie Japan 1946 von der damaligen Besatzungsmacht USA aufgezwungen worden sei. Heute sind die USA Japans Schutzmacht. Am Montag sprach US-Außenminister Antony Blinken bei einem Kurzbesuch in Tokio Kishida das Beileid seiner Regierung für Abes Tod aus.

Blinken hatte nach der Tötung Abes seinen Reiseplan geändert, um auf der Rückreise aus Thailand einen Zwischenstopp in Tokio einzulegen. Er nannte Abe "einen Mann mit Visionen, der in der Lage ist, diese Vision zu verwirklichen".

Gedenken und Totenwache

Unterdessen erwiesen Angehörige und Freunde, darunter viele Vertreter aus Politik und Wirtschaft, dem getöteten Ex-Ministerpräsidenten Abe mit einer Totenwache am Montag die letzte Ehre erwiesen. Abes Leichnam wurde in Tokios Zojoji-Tempel überführt, wo er am Dienstag im privaten Kreis bestattet werden soll. An der Totenwache nahm auch US-Finanzministerin Janet Yellen teil. Eine öffentliche Trauerfeier soll zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden.

Abe war am Freitag bei einem Wahlkampfauftritt zur Unterstützung eines LDP-Parteikollegen in der westjapanischen Stadt Nara niedergeschossen worden. Wenige Stunden später wurde der 67-Jährige im Krankenhaus für tot erklärt. Die Gewalttat, die von einem 41-jährigen Arbeitslosen begangen wurde, sorgte im In- und Ausland für Entsetzen.

Der Attentäter gab Medienberichten zufolge im Verhör an, aus Hass gegen eine religiöse Gruppierung gehandelt zu haben, zu der Abe eine Verbindung gehabt habe. Die Familie des Attentäters war demnach wegen Spenden seiner Mutter an diese Gruppe in finanzielle Schwierigkeiten geraten.

Attentäter-Mutter gehörte der „Moon-Sekte“ an

Die auch als "Moon-Sekte" umstrittene Vereinigungskirche des 2012 verstorbenen koreanischen Gründers San Myung Moon bestätigte am Montag die Mitgliedschaft der Mutter. Sie sei 1998 beigetreten und nach seinem Wissen 2002 in finanzielle Probleme geraten, sagte der Vorsitzende des japanischen Zweigs, Tomihiro Tanaka, auf einer Pressekonferenz in Tokio.

"Wir kennen die Umstände nicht, die diese Familie in den Bankrott getrieben haben", sagte Tanaka weiter. Er machte keine Angaben zu den Spenden der Mutter, diese seien Gegenstand von Ermittlungen. Tanaka berichtete jedoch von Spendern, die große Summen zahlten. Diese seien freiwillig, feste Quoten gebe es nicht.

Moon hatte die Sekte 1954 in Südkorea gegründet, bekannt wurde sie für ihre Massentrauungen von tausenden Paaren. Mit Hilfe seiner Anhänger baute Moon ein Wirtschaftsimperium auf, das ihn zum Milliardär machte.

(APA/dpa)

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