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"You'll never walk alone": Die deutsche Regierung präsentiert 65-Milliarden-Paket

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GERMANY-GOVERNMENT-INFLATION-ENERGYAPA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Pensionistinnen und Pensionisten bekommen nun eine Einmalzahlung von 300 Euro, Studierende 200 Euro. Das 9-Euro-Ticket soll es nicht mehr geben, ein günstigeres Monatsticket soll aber folgen. Und der Staat will „Zufallsgewinne“ von Unternehmen abschöpfen.

Die deutsche Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat sich auf weitere finanzielle Entlastungen für die Menschen in Deutschland im Umfang von insgesamt 65 Milliarden Euro geeinigt. "Wir werden durch diese schwierige Zeit kommen", sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntagvormittag bei der Vorstellung des Pakets in Berlin. Keine Bürgerin und kein Bürger werde alleine gelassen. "You'll never walk alone."

Pensionistinnen und Pensionisten sollen eine Einmalzahlung von 300 Euro erhalten, Studierende 200 Euro. Wohngeldberechtigte bekommen einen zusätzlichen Heizkostenzuschuss von 415 Euro. Der Wohngeldanspruch soll auf zwei Millionen Personen von derzeit 640.000 ausgeweitet werden. Gerade, wenn man wenig verdiene, kämpfe man mit den Preisen ganz besonders, sagte Scholz.

Russland ist für Scholz "kein zuverlässiger Energielieferant mehr". Aber: "Wir werden durch diesen harten Winter kommen." Für einen gewissen Basisverbrauch an Strom soll nach dem Willen der Ampel-Koalition künftig ein vergünstigter Preis gelten. Für einen zusätzlichen Verbrauch darüber hinaus wäre der Preis nicht begrenzt. "Zufallsgewinne" bei Unternehmen wegen der hohen Energiepreise würden abgeschöpft, kündigte Scholz an.

Der Kanzler betonte auch die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern: Wenn Arbeitgeber ihren Beschäftigten "wegen der gegenwärtigen Entwicklung Zahlung leisten", sollen diese bis zur Summe von 3.000 Euro steuerfrei bleiben. Für Familien wurde eine Erhöhung des Kindergeldes angekündigt. Derzeit werden 219 Euro für das erste und zweite Kind überwiesen, mit Jahresbeginn steigt dieser Betrag um 18 Euro.

Monatsticket ab 49 Euro in Planung

Der Bund will sich außerdem mit 1,5 Milliarden Euro im Jahr an einem Nachfolger-Modell für das populäre Neun-Euro-Ticket beteiligen. Voraussetzung sei, dass "die Länder mindestens den gleichen Betrag zur Verfügung stellen", heißt es in dem Papier. Ziel sei ein "preislich attraktives Ticket" im Rahmen von 49 bis 69 Euro monatlich für ein bundesweites Nahverkehrsticket.

Mit der geplanten Einführung des Bürgergelds Anfang kommenden Jahres wollen SPD, Grüne und FDP die Regelsätze für Bedürftige auf rund 500 Euro erhöhen. Heute erhalten Alleinstehende in der Grundsicherung 449 Euro pro Monat.

Grünen-Chef Omid Nouripour betonte in der gemeinsamen Pressekonferenz, man werde sich "in diesem Land nicht spalten lassen" von Russland. "Wir werden Schaden für dieses Land abwenden", sagte FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner und unterstrich dabei die Abwendung "sozialer Härten".

65 Milliarden - konservative Schätzung

Das vereinbarte dritte Entlastungspaket ist laut Lindner ohne eine weitere Aussetzung der Schuldenbremse finanzierbar. "Diese Maßnahmen finden statt innerhalb der bisherigen Haushaltsplanungen der Bundesregierung", sagte der FDP-Chef. Die Schuldenbremse setzt der Neuverschuldung des Bundes enge Grenzen. Möglich sei dies unter anderem durch Vorsorge, die schon im Haushalt getroffen worden sei, sagte Lindner. Auch kämen an anderer Stelle Einnahmen hinzu. Die 65 Milliarden Euro vom Bund für das dritte Entlastungspaket stellten eine konservative Schätzung dar. Es handle sich um ein Paket, das Solidarität mit Leistungsgerechtigkeit und Solidität verbinde.

"Es ist vollbracht. Sehr gutes Ergebnis", hatte Justizminister Marco Buschmann (FDP) um 6.13 Uhr getwittert. Begonnen hatten die Verhandlungen 18 Stunden zuvor. Es ist bereits das dritte Maßnahmenpaket, mit dem die drastischen Preissteigerungen - vor allem im Energiebereich - im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ausgeglichen werden sollen.

Folgende Maßnahmen sind geplant

- Strompreisbremse: Privathaushalte sollen die Strommenge für einen Basisverbrauch zu einem vergünstigten Preis erhalten. Für kleine und mittlere Unternehmen mit Versorgertarif soll dies auch gelten. Finanziert werden soll die Preisbremse mit Einnahmen durch eine neue Erlösobergrenze für Energieunternehmen. Zudem sollen die beim Strompreis relevanten, voraussichtlich steigenden Netzentgelte damit bezuschusst werden.

- CO2-Preis: Die am 1. Jänner anstehende Erhöhung des CO2-Preises um fünf Euro pro Tonne wird um ein Jahr auf 2024 verschoben, auch die Folgeschritte sollen sich verschieben. Heute liegt der CO2-Preis bei 30 Euro pro Tonne.

- Pension: Pensionistinnen und Pensionisten sollen mit 1. Dezember eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro von der Rentenversicherung erhalten. Sie waren bei der ersten Pauschale für Berufstätige leer ausgegangen. Wegen der Steuerpflichtigkeit wirkt die Pauschale bei niedriger Rente stärker.

- Studierende: Studierende und Berufsfachschülerinnen und -schüler sollen eine Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro erhalten. Der Bund will mit den Ländern eine schnelle Auszahlung beraten.

- Wohngeld: Ein weiterer Heizkostenzuschuss soll im Herbst an die Wohngeldbeziehenden gehen. Er beträgt einmalig 415 Euro für einen 1-Personen-Haushalt. Im Zuge der für Jahresbeginn geplanten Wohngeldreform soll er dann zur dauerhaften Komponente des Wohngelds werden. Zudem soll der Kreis der Wohngeldberechtigten auf zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger erweitert werden. Ende 2020 hatten laut Statistik-Amt 618 200 Haushalte Wohngeld bezogen.

- Bürgergeld: Bedürftige sollen mit der für 1. Jänner geplanten Weiterentwicklung des heutigen Hartz-IV-Systems zu einem Bürgergeld um 50 Euro höhere Regelsätze erhalten - etwa 500 Euro monatlich. Dies soll durch einen "Paradigmenwechsel" (Bundeskanzler Olaf Scholz) geschehen: Bei der Berechnung der Sätze soll künftig schon die zu erwartende Inflation im Jahr der Anpassung berücksichtigt werden - bisher wurden nur zurückliegende Werte angesetzt.

- Midi-Jobs: Beschäftigung knapp über der Mini-Job-Schwelle mit geringeren Sozialbeiträgen soll erleichtert werden. Die sogenannten Midi-Jobs sollen künftig monatlich bei bis zu einem Verdienst von 2.000 Euro liegen können.

- Steuerentlastung: 48 Millionen Bürgerinnen und Bürger sollen bei der Steuer entlasten werden. Dazu soll an Stellschrauben des Einkommensteuertarifs gedreht werden. Steuererhöhungen infolge der Inflation sollen verhindert werden. Denn durch die sogenannte kalte Progression droht vielen Menschen unter anderem, dass ihre Kaufkraft sinkt.

- Kindergeld: Es soll zum 1. Jänner um 18 Euro monatlich für das erste und zweite Kind angehoben werden. Die Erhöhung soll für 2023/2024 gelten. Heute beträgt das Kindergeld jeweils 219 Euro für das erste und zweite Kind. Beim Kinderzuschlag für Familien mit niedrigem Einkommen soll der Höchstbetrag ab 1. Jänner auf 250 Euro monatlich steigen.

- SteuerfreiePrämie: Der Bund bietet Arbeitgebern und Beschäftigten an, dass er auf Steuern und Abgaben verzichtet, wenn Unternehmen zusätzliche Zahlungen an ihre Beschäftigten bis zu 3.000 Euro leisten.

- Unternehmenshilfen: Energieintensive Unternehmen, die Kostensteigerungen nicht weitergeben können, sollen mit einem neuen Programm unterstützt werden. Der Spitzenausgleich bei den Strom- und Energiesteuern soll um ein weiteres Jahr verlängert werden. Bestehende Unternehmenshilfen unter anderem mit zinsgünstigen Krediten und erweiterten Bürgschaften sollen bis 31. Dezember verlängert werden. Geprüft werden Schritte für Unternehmen, die aufgrund von Gasmangel und hoher Energiepreise die Produktion temporär einstellen müssen.

- Nahverkehr: Nach dem 9-Euro-Ticket soll ein Nahverkehrsticket eingeführt werden - bundesweit nutzbar, digital buchbar, als Abo-Ticket. Preis: 49 bis 69 Euro. Der Bund will 1,5 Milliarden Euro dafür zuschießen, wenn die Länder mindestens ebenso viel zahlen.

- Kurzarbeit, Gastronomie, Mieterinnen und Mieter: Ein wegen des Corona-Abschwungs eingeführter erleichterter Zugang zur Kurzarbeit soll verlängert werden - ebenso die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie auf 7 Prozent. Mieterinnen und Mieter sollen gegebenenfalls vor einer Überforderung durch steigende Nebenkostenvorauszahlungen geschützt werden. Strom- und Gassperren sollen vermieden werden.

- WeitereSteuerschritte: Steuerzahler sollen ab 1. Jänner ihre Pensionsbeiträge voll absetzen können; Pensionen sollen künftig in der Auszahlungsphase besteuert werden. Mit einer Senkung der Umsatzsteuer auf Gas zum 1. Oktober auf 7 Prozent soll die Gasumlage ausgeglichen werden. Die bis Ende 2022 verlängerte Homeoffice-Pauschale soll entfristet und verbessert werden.

(apa)

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