Demografie

Die große Lücke auf dem Arbeitsmarkt: Was läuft da schief?

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Österreich ist ein Einwanderungsland, die Bevölkerung wächst. Dennoch suchen Betriebe dringend Fachkräfte.

Wien. Es kann schon paradox wirken: Da wächst Österreichs Bevölkerung, seit einem Jahr leben mehr als neun Millionen Menschen im Land und in den kommenden Dekaden dürfte die Bevölkerung um noch einmal 1,5 Millionen Menschen zulegen. Aber Arbeitskräfte werden immer knapper. Da bestimmt das Thema Migration schon wieder den öffentlichen Diskurs, Bundesparteien rechts der Mitte und manche Landesparteien links der Mitte warnen von einem bedenklichen Anstieg der Wanderungsbewegungen nach Österreich. Aber zugleich tönt es aus der Wirtschaft, dass zu wenig geschehe, um internationale Arbeitskräfte anzulocken. Was ist da los?

Demografie ist ein komplexes Thema. Schlüsse darüber, was Bevölkerungsveränderungen für den Arbeitsmarkt bedeuten, hängen immer auch von anderen Faktoren ab. So würde bei einer alternden Bevölkerung die Zahl der Erwerbspersonen weniger oder gar nicht sinken, wenn entsprechend auch das Pensionsantrittsalter steigen würde. Wenn der Bedarf an Arbeitskräften stark steigt, kann die Lücke auf dem Arbeitsmarkt auch dann größer werden, wenn die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zulegt. Und wie sich Migration auf den Arbeitsmarkt auswirkt, hängt auch davon ab, welchen Zugang man Migranten zum Arbeitsmarkt gewährt.


Die Liste ließe sich fortführen und zeigt: Es geht in der Arbeitsmarktpolitik auch darum, bestmöglich auf die demografischen Gegebenheiten zu reagieren. Und die sind hierzulande gar nicht so ungünstig, wie man meinen möchte. Denn Österreich ist erstens ein Zuwanderungsland. „Und das bedeutet“, erklärt Thomas Fent, Demograf an der österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), „dass Österreich langsamer altert als Abwanderungsländer wie etwa die Länder Osteuropas.“ Wie überall in Europa steigt hierzulande die Lebenserwartung, während die Geburtenrate abnimmt. Weil die wandernde Bevölkerung aber im Schnitt meistens deutlich jünger ist als die bleibende, dämpft Einwanderung die Alterung, Abwanderung beschleunigt sie.

Migranten haben es schwerer am Markt

Im Jahr 2021 hatten 26 Prozent der Erwerbstätigen in Österreich Migrationshintergrund. Und auch wenn Österreich laut OECD nicht zu den attraktivsten Destinationen für internationale Talente gilt, kommen doch längst nicht nur Unqualifizierte nach Österreich. Vergleicht man die Zuwanderer aus Osteuropa mit der Bevölkerung in ihren Heimatländern, sind es vor allem höher Qualifizierte, die nach Österreich auswandern. Ähnliches galt übrigens 2015 im Zuge der Migrationskrise. Laut einer im Fachjournal „Plos One“ publizierten Studie waren die damals nach Österreich gekommenen Asylwerber aus Syrien, Afghanistan und dem Irak im Schnitt jünger, besser gebildet und liberaler eingestellt als die Gesamtbevölkerung in den Herkunftsländern.

Dass Migranten hierzulande es oft schwer haben, einen ihrer Qualifikation angemessenen Job zu finden, hat mehrere Gründe. Etwa fehlt häufig der Zugang zum informellen Arbeitsmarkt, also zu jenen Stellen, die nicht ausgeschrieben werden. Die Sprache ist ein zweites Hindernis, und ein drittes ist die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen. Die Folge ist, dass Migranten hierzulande laut OECD oft in Jobs landen, für die sie eigentlich überqualifiziert sind.

Doch gibt es freilich auch gering qualifizierte Zuwanderung. Laut dem „Statistischen Jahrbuch Migration und Integration“ sind erwerbstätige Migranten an den Rändern der Verteilung konzentriert: Sie sind öfter hoch qualifiziert als Inländer, aber auch häufiger gering qualifiziert als Österreicher.

Insgesamt nehmen Migranten aber vergleichsweise seltener am Arbeitsmarkt teil. Die Erwerbsquote unter Migranten liegt bei etwa zwei Drittel, während drei Viertel der Inländer im erwerbsfähigen Alter Arbeit haben oder suchen. Dass Migranten auch unabhängig von ihrer Qualifikation häufiger arbeitslos sind als Inländer, verdeutlich die Schwierigkeit bei der Jobsuche.

Grundsätzlich unterscheiden sich Migranten sehr stark je nach Geschlecht und Herkunftsland. So nehmen Menschen aus den EU-Beitrittsländern von 2004 sogar öfter am Erwerbsleben teil als Österreicher. Frauen aus der Türkei und auch Syrer, Afghanen Iraker sind mit einer Erwerbsquote von weniger als 40 Prozent dafür besonders selten erwerbstätig. Etwa die Hälfte der Menschen, die 2015 als Asylwerber nach Österreich kamen, sind heute beschäftigt – und das meist in prekären Jobs.

Wer Österreich verlässt

Überhaupt ist Österreich nicht nur ein Zielland. So gab es 2021 etwa neben rund 154.000 Zuzügen auch 102.000 Wegzüge aus Österreich – und damit ein Wanderungssaldo von rund 52.000 Personen. Zum Vergleich: Während der Migrationskrise 2015 betrug die Nettozuwanderung 113.000 Personen. Die schlechten Nachrichten für den Arbeitsmarkt sind, dass häufig auch gut ausgebildete Inländer Österreich verlassen.

Zuwanderung sei nur eines von vielen Rezepten gegen den Fachkräftemangel, sagt Demograf Fent, der regelmäßig von Unternehmen eingeladen wird, um über die demografischen Trends in Österreich zu berichten. Eine wichtige Stellschraube sei das Pensionsantrittsalter. Gepaart mit einer guten Gesundheitspolitik, die den Menschen im Schnitt mehr gesunde Lebensjahre verschafft, könne ein höheres Pensionsantrittsalter einen Teil der Lücke auf dem Arbeitsmarkt füllen, erklärt Fent.

Zweitens müsse man mehr Menschen in Vollzeitjobs bringen, betonen Experten. Bessere Kinderbetreuungsangebote könnten da helfen, aber nicht nur. Denn Umfragen zeigen, dass Arbeitnehmer immer größere Anforderungen an Jobs stellen. Diese müssen heute nicht nur angemessen bezahlt sein, sondern auch erfüllend, um für Arbeitgeber als Vollzeitstelle attraktiv zu sein.

Was Bildung mit Geburtenrate zu tun hat

Und noch einen Vorschlag bringt Fent, der sowohl kurz- als auch mittelfristig für zusätzliche Arbeitskraft sorgen könnte. Denn junge Menschen bekommen häufig erst dann Kinder, wenn sie fest im Arbeitsleben stehen. Lange Ausbildungszeiten gerade bei Akademikern verlegen also nicht nur den Eintritt ins Arbeitsleben nach hinten, sondern auch die Familiengründung. Kürzere Ausbildungszeiten könnten demnach nicht nur die Erwerbsleben vieler Menschen verlängern. Möglicherweise würde sogar die Geburtenrate steigen.

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