Kommentar

Nur Netanjahu kann einen Ausweg aus der Staatskrise eröffnen

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Mit dem Plan zum vorläufigen Stopp für die Justizreform hat Israels Premier einen ersten Schritt gesetzt. Der Weg zu Neuwahlen scheint unvermeidlich. Geboten wäre indes eine Regierung der nationalen Einheit.

Der ebenso gewiefte wie skrupellose Machtpolitiker Benjamin Netanjahu hatte das Kunststück geschafft und am Ende fast alle gegen sich aufgebracht: die Opposition, den Präsidenten, die Richter, die Armee, die Wirtschaft, die Gewerkschaften, Teile seiner eigenen Likud-Partei und nicht zuletzt den Verbündeten USA. Justizminister Levin, die ultrarechten Partner seiner Koalition und er selbst wollten die umstrittene Justizreform mit der Brechstange so schnell wie möglich durchs Parlament boxen – mit allen Tricks und Finten. Netanjahu setzte die nationalen Interessen aufs Spiel, und er nahm sogar eine Staatskrise in Kauf.

Der Premier schlug die immer drastischeren Warnungen in den Wind, zuletzt auch die seines Verteidigungsministers. Yoav Gallant sah die Sicherheit des Staates durch den Riss in der Gesellschaft in Gefahr, weil die Armee-Reservisten die Militärübungen sabotierten. Gallants Rücktritt hat nun jedoch eine Dynamik ausgelöst, gegen die sich auch Netanjahu nicht mehr zu stemmen vermochte. Nach neuerlich massiven Protesten und einer nächtlichen Krisensitzung mit seinen Vertrauten sah er sich gezwungen, vorerst das Gesetzverfahren in der Knesset zu stoppen. Dazu hatten ihn Präsident Jitzhak Herzog und Verteidigungsminister Gallant dringend aufgerufen. Das Bild des Chaos war dann freilich komplett, als ihn ein Konflikt in seiner Koalition nötigte, die Montag früh angekündigte TV-Erklärung zu verschieben. Nun sind auch die Ultrarechten sauer. Die Lahmlegung des Ben-Gurion-Flughafens in Tel Aviv symbolisiert den inneren Zustand Israels.

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