ÖGS

Wie sagt man das in Gebärdensprache?

Rund 200 verschiedene Gebärdensprachen gibt es weltweit, weniger als die Hälfte davon sind mehr oder weniger dokumentiert.
Rund 200 verschiedene Gebärdensprachen gibt es weltweit, weniger als die Hälfte davon sind mehr oder weniger dokumentiert.Marin Goleminov
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Das Wiener Projekt „Mach's auf“ hat eine Meta-Suchmaschine für Gebärden entwickelt und viele vorhandene ÖGS-Lexika zu einem umfangreichen Archiv zusammengeführt.

Themen, die die gehörlose Community betreffen, landen nur selten in den Medien. Zuletzt wurde die 20-jährige Justina Miles öffentlich gefeiert, nachdem sie beim Super Bowl als ASL-Übersetzerin (American Sign Language) auftrat und Rihannas Show ganz geschmeidig in Gebärdensprache übersetzte. Ein derart starker Nachhall eines stillen Role Model ist immer erfreulich, um dem Thema Aufmerksamkeit zu geben.

Ein Wiener Projekt hat sich einem anderen Problem angenommen. Unter dem Titel „Mach's auf“ haben Franz Steinbrecher und Oliver Suchanek gemeinsam mit dem Chaos Computer Club Wien (C3W) eine Meta-Suchmaschine für Gebärden entwickelt. Die neue Website führt viele bisher vorhandene Lexika der Österreichischen Gebärdensprachen (ÖGS) zu einem umfangreichen Gebärden-Archiv zusammen. Der Inhalt wird laufend erweitert und enthält aktuell bereits 60.900 Gebärden von Quellen wie Equalizent, GESTU, Kinderhände, LedaSila, spreadthesign und anderen. 

Ein Ziel des Projektteams war es, ÖGS-Lernende beim Üben zu unterstützen. Das Archiv richtet sich aber auch an Personen, die ÖGS beherrschen und schnell Gebärden nachschlagen möchten. Wegen der vielen Quellen war das bisher ein langwieriger Prozess, schreiben die Macher. Die Arbeitsgruppe bestand aus den bereits genannten gehörlosen Künstlern Oliver Suchanek und Franz Steinbrecher und den zwei Hörenden Michael Lutonsky und Pepi Zawodsky, die die technische Umsetzung übernahmen. „Wichtig war uns von Anfang an, die Suchmaschine für alle kostenlos anbieten zu können – der Zugang zu Sprache soll schließlich allen möglich sein“, so Steinbrecher und Suchanek.

Reparaturkultur für alle

Noch vor dem Archiv stand das Thema Inklusion im Raum: Wie kann Technik gestaltet sein, damit sie besser von gehörlosen und hörbeeinträchtigten Menschen genutzt werden kann? Was braucht es, damit gehörlose Menschen technische Fähigkeiten erlernen können? „Mit diesen Fragen verstehen wir das Projekt als Startpunkt, um kreative und kulturelle Orte zugänglicher zu machen. Genauso wollen wir die Aufmerksamkeit auf nachhaltige Wirksamkeit, die sorgsame Nutzung von natürlichen Ressourcen und Reparaturkultur lenken“, beschreibt „Mach's auf“ seine Ziele. Grundvoraussetzung dafür ist die barrierefreie Kommunikation.

Durch das Projekt will man offene Werkstätten für gehörlose Personen zugänglicher machen, damit die sich dieselben Fähigkeiten aneignen können, wie hörende Menschen. Dies soll anhand von Workshops und Vorträgen, Austausch und Vernetzung mit der Community geschehen. Das Metalab hinter dem Wiener Rathaus ist einer dieser offenen Orte, an denen inklusiver, technisch-kreativer Wissensaustausch stattfindet. Um diese Ideale langfristig zu verfolgen, wurde der Verein „Gebärdenverse“ gegründet. „Diesen gilt es jetzt Schritt für Schritt auf- und auszubauen, darauf freuen wir uns schon irrsinnig. Interessierte können sich jetzt schon bei uns anmelden, Mitglied werden und mit uns gemeinsam für ein Stück mehr Inklusion in der Gesellschaft sorgen“, sagen die Gründer. 

ÖGS ist eine eigenständige Sprache

Von etwa 450.000 Menschen, die in Österreich aufgrund einer Hörbehinderung in der Kommunikation mit anderen beeinträchtigt sind, sind ungefähr 8.000 bis 10.000 Menschen gehörlos. Der Österreichische Gehörlosenbund schätzt, dass zwischen 10.000 und 20.000 davon die Österreichische Gebärdensprache als Erstsprache nutzen. Die ÖGS ist seit 2005 in Österreich als eigenständige Sprache in der österreichischen Bundesverfassung anerkannt und ist eine linguistisch vollwertige und natürliche Sprache, die über eine eigene Grammatik und Syntax verfügt. Jede Gebärde setzt sich aus der Handform, der Handstellung, der Bewegung und der Ausführungsstelle zusammen. Auch die Mimik dient als grammatisches Element. Mundbild und Fingeralphabet wirken unterstützend. Gehörlose Personen können oft gut Lippenlesen, allerdings ist es ein Irrglaube, dass damit das Gesprochene voll erfasst werden kann.

Die Gründer von „Mach's auf“ sehen, dass die ÖGS nach wie vor zu wenig geschützt und gefördert wird: „Innerhalb der Community sind wir definitiv stolz auf die Gebärdensprache – sie ist ein vollwertiges, komplexes visuelles Kommunikationssystem. Wir würden uns wünschen, dass es z.B. endlich mehr ÖGS-Angebote in Schulen gibt; dass ein Mangel an ÖGS-Dolmetscherinnen und Dolmetscher nicht mehr der Grund wäre, dass gehörlose Kinder so viele Barrieren in ihrer Ausbildung haben. Ebenso sollte die ÖGS viel mehr in den Medien verwendet werden und auch überall dort, wo Information sonst nur auditiv übertragen wird und gehörlose Menschen damit ausgeschlossen werden - es gehört noch einiges gemacht."

Problemlöser gesucht, gefunden

„Mach's auf“ ist ein vom Action for Sustainable Future (ASF) Hub gefördertes Projekt in Kooperation mit der Angewandten Wien, TU Wien, Ludwig Boltzmann Gesellschaft GmbH, Equalizent und Metalab. Diese Drehscheibe sucht kreative Lösungsideen, um gegen die Vielfalt aktueller Gefährdungen anzukommen: Wirtschaftskrisen, Klima- und Biodiversitätskrisen, Verteilungskrisen - die Liste ist bekanntlich lang und unerfreulich. Mit verschiedenen Ansätzen soll u.a. das gesellschaftliche Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung geschärft werden.

Neben „Mach's auf“ werden auch andere Projekte wie der „Human Rights Space“, ein barrierefreier Raum zur Auseinandersetzung mit Kinder- und Menschenrechten, oder auch eine ganz bodenständige Idee wie „Das Wormhotel“, ein Kompostiersystem für den städtischen Raum, bis Ende 2023 vom ASF hub finanziell und inhaltlich unterstützt.

Info

Die Suchmaschine ist öffentlich und für alle zugänglich unter www.suche.machs-auf.at.

(sh)

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