Bodenverbrauch

Zu viele neue Einfamilienhäuser im Grünen

Jeder Mensch in Österreich hat theoretisch 15 Meter Straße nur für sich.
Jeder Mensch in Österreich hat theoretisch 15 Meter Straße nur für sich. JFK / EXPA / picturedesk.com
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Die Bodenversiegelung in Österreichs schreitet rapide voran. Über hundert Forscher fordern von der Regierung die lange versprochene Bodenstrategie ein. Die NGO AllRise klagt den Bund wegen seiner Untätigkeit.

Wien. Wir tauschen unsere Kleider, kaufen gebrauchte Möbel auf willhaben und lassen unsere alten Smartphones und Tablets für die nächsten Nutzer auffrischen. Keine Frage, die Idee der Kreislaufwirtschaft hat Konjunktur. Aber nicht überall. In ganz Österreich stehen 40.000 Hektar an Häusern ungenutzt herum – das entspricht etwa der Größe Wiens. Trotzdem widmen Bürgermeister ungebremst Grünland in neues Bauland um, damit Familien und Unternehmen in der Gemeinde bleiben.
Die Folge des Neubaubooms: Österreich verbraucht jeden Tag rund 16 Fußballfelder an bisher ungenutzter Fläche, acht davon werden auch versiegelt. Mit jedem zusätzlichen Quadratmeter Beton, nehmen die Böden weniger CO2 auf und beschleunigen die Klimakrise und der Selbstversorgungsgrad der heimischen Landwirtschaft sinkt.

Bodenstrategie kommt bis zum Sommer

Die Probleme sind allesamt nicht neu. Bis 2050 muss das Land auf Druck der EU auf Netto-Null-Bodenverbrauch kommen. In einem ersten Schritt hat sich die Regierung das Ziel gesetzt, den Bodenverbrauch bis 2030 von heute 11,3 auf 2,5 Hektar am Tag zu senken. „Wir werden das Ziel mit Sicherheit nicht erreichen“, sagt Franz Fehr, Agrarwissenschaftler an der Boku. Die lange versprochene Bodenstrategie liege seit November fertig herum. Beschlossen oder gar veröffentlicht sei sie aber noch nicht, kritisiert eine Gruppe von 175 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einem offenen Brief an Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP).

„Unser Ziel muss sein, den Bodenverbrauch in Österreich zu reduzieren.“, heißt es auf Anfrage der „Presse“ aus dem Landwirtschaftsministerium. Die Österreichische Raumordnungskonferenz arbeite „nach wie vor an der Fertigstellung der Bodenstrategie, die politischen Abstimmungen unter den Partnern sind schon weit fortgeschritten.“ Das Papier soll noch vor Sommer beschlossen werden.

Doch Papier ist geduldig, einen klaren Zeitplan für die Umsetzung notwendiger Maßnahmen, gab es vom Ministerium nicht. Stattdessen erhöhte am Donnerstag auch die auf Klimaklagen spezialisierte NGO „AllRise“ den Druck auf die Koalition. Wie „Die Presse“ bereits vorab berichtete, reichte eine Staatshaftungsklage gegen die Republik beim Verfassungsgerichtshof ein.
Das „systemische Versagen“ der Politik in Bereich des Bodenschutzes habe massive Folgen für die Staatsbürger, erklärte der Initiator, Johannes Wesemann. Neue Einfamilienhäuser seien dabei nur eines der Probleme. Österreich weist mit 1,6 Quadratmetern pro Kopf auch eine der höchsten Supermarktdichten Europas auf. Und mit 15 Metern Straße pro Kopf hängt das Land auch in Sachen Auto-Infrastruktur die meisten anderen EU-Staaten ab. Daran haben auch die Versprechen der Politik nichts geändert.

Allein Niederösterreich verbraucht 2,5 Hektar Boden pro Tag, Oberösterreich 2,2 Hektar täglich. Das wären eigentlich die Vorgaben für ganz Österreich. AllRise klagt daher nicht nur Österreich, sondern auch die Bundesländer Nieder- und Oberösterreich. Das Vorhaben wurde über eine Crowdfunding-Kampagne finanziert, die noch bis Ende Mai läuft.

Weniger Macht für Bürgermeister?

Konkrete Maßnahmen, eine koordinierte Strategie des Bundes, mit der die Bundesländer stärker in die Pflicht genommen werden und Handlungsdruck von den oft überforderten Bürgermeistern genommen werde, seien überfällig, sagten auch die heimischen Forscherinnen und Forscher in ihrem Brief an den Minister. Als Vorbild wurde Bayern genannt, wo die Widmungskompetenz nicht mehr in den Gemeinden liegt.

Intakte Böden sind auch als CO2-Speicher von enormer Bedeutung. 29 Prozent der globalen Treibhausgaseemissionen werden derzeit von Böden gebunden, erinnerte Renate Christ, die ehemalige Leiterin des IPCC-Sekretariats. Eine Versiegelung sei unglaublich langlebig, warnte Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. „Siedlungen werden nicht innerhalb von zehn Jahren wieder weggerissen. Wir drücken der Landschaft mit der Versiegelung einen Stempel auf, der sich lange, lange Zeit hält.“

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