Lampedusa: Insel im Ausnahmezustand

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Derzeit hält das schlechte Wetter Flüchtlinge aus Tunesien von der Überfahrt ab. Der Bürgermeister pocht wegen der überfüllten Lager auf Hilfe aus Rom: "„Lampedusa befindet sich am Rande des Kollaps."

Rom/Doe. Nach einem Ansturm tunesischer Flüchtlinge auf die italienische Insel Lampedusa zu Wochenbeginn, ist es nun wegen des schlechten Wetters etwas ruhiger geworden: In den vergangenen vier Tagen sind „nur“ 26 Tunesier an Bord eines Bootes angekommen.

Auf der kleinen Insel, auf der kaum 6000 Menschen leben, herrscht Ausnahmezustand. Lampedusa, das ist der karge südlichste Vorposten Europas, dessen Bürgermeister Bernardino De Rubeis seit 2007 ist. Fast 5000 Tunesier strandeten dort bis zum Anfang dieser Woche oder wurden von der italienischen Küstenwacht in den Hafen geschleust. Seitdem interessiert sich die Welt plötzlich wieder brennend für dieses 20 Quadratkilometer kleine Eiland.

„Lampedusa befindet sich am Rande des Kollaps“, sagt der Bürgermeister. Im wieder geöffneten Auffanglager warten etwa 1600 junge Männer darauf, auf das italienische Festland gebracht zu werden. Sie drohen mit Hungerstreik, um auf ihre missliche Lage aufmerksam zu machen. Sie träumen von einem besseren Leben in Europa – zur grenzenlosen Überraschung der Europäer.

Aufs italienische Festland verlegt

„Wir haben die Pflicht zu helfen, wo wir können“, davon ist De Rubeis überzeugt. Nur: Allein schafft Lampedusa das nicht, und er fürchtet auch jetzt die Wirkung der Bilder, die seit Tagen um die Welt gehen – Hunderte von jungen Männern, die im Hauptort der Insel herumlungern und warten. Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord hat ihm am Donnerstag versprochen, dass sie binnen zehn Tagen alle weg sein werden, verlegt in Lager auf Sizilien, in Apulien und Kalabrien. Doch auch die sind überfüllt, die Regierung will deshalb eine ehemalige Wohnsiedlung für US-Militärs auf Sizilien zu einem „Dorf der Solidarität“ umfunktionieren.

Um diese Zusage zu erhalten, ist De Rubeis eigens nach Rom gereist. Es ist kein Geheimnis, dass er und Maroni nicht gerade gute Freunde sind, dabei schreckt auch der Bürgermeister vor Populismus nicht zurück. Als „Fünfsternehotel“ hat er das Auffanglager auf Lampedusa einmal bezeichnet. Doch als zuletzt der „Notstand“ herrschte auf Lampedusa, im Sommer 2008, wehrte sich De Rubeis erbittert gegen den Plan der Regierung, auf der Insel ein Abschiebelager einzurichten. Er warf ihr vor, die Insel zu einem „zweiten Alcatraz“ machen zu wollen, mobilisierte die Bewohner zum Widerstand gegen die „menschenverachtende“ Einwanderungspolitik.

Sogar Rassismus warf De Rubeis der Regierung vor – dabei ist das genau das, was ihm Menschenrechtsorganisationen gern vorhalten. 2008 hatte er verfügt, dass die damaligen Flüchtlinge das Lager nicht verlassen durften – zum Schutz der Bewohner. So weit ist es im Augenblick noch nicht, und De Rubeis hofft, dass die Regierung ihr Versprechen hält.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2011)

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