Früher hätte es Floridsdorf fast zur niederösterreichischen Landeshauptstadt gebracht. Heute ist es einer der ländlichsten Bezirke, eine klassische Vorstadt mit eigener Identität und dörflicher Struktur.
Wien. Stammersdorf, Strebersdorf, Großjedlersdorf – Floridsdorf ist nicht nur der einzige Wiener Bezirk, der die Bezeichnung „Dorf“ im Namen trägt, er ist auch der Bezirk der Dörfer. Und dörflich ist die Struktur in den Weiten der bekannten Floridsdorfer Weingegenden. Und diese Weiten werden von einer Floridsdorfer Identität geprägt, meint der Soziologe Roland Girtler: „Sie ist die Identität der kleinen Leute, der Arbeiter am Rande der Stadt. Floridsdorf ist die klassische Vorstadt.“
Ein gutes Beispiel ist ein ehemaliger Briefträger, der es heute zu österreichweiter Prominenz geschafft hat – Ex-Rapid-Trainer Peter Pacult: „Ich bin einfacher Mensch, wie viele hier in Floridsdorf. Außer, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe.“ Nachsatz: „Früher hab ich als Briefträger gearbeitet.“
Der prominente Fußballtrainer sieht sich als typischer Floridsdorfer, oder besser gesagt „Fluridsdurfer“, wie er es ausdrückt. Damit hat er einiges mit Wohnbaustadtrat Michael Ludwig gemein. Beide sind Floridsdorfer, beide haben früher als Briefträger gearbeitet und beide werden im kürzlich erschienenen Buch „Floridsdorf“ (Metroverlag) porträtiert.
Promis als Bezirksbewohner
Die beiden Autorinnen Brigitte Biedermann und Barbara Mader haben darin berühmte Floridsdorfer zu ihren (Kindheits-)Erinnerungen befragt. Und Floridsdorfer Berühmtheiten gibt es einige: Barbara Albert, Hannes Androsch, Louie Austen, Brigitte Ederer, Hermann Nitsch, Erika Pluhar oder Willi Resetarits – um nur einige zu nennen.
Floridsdorf hat nicht nur prominente Töchter und Söhne hervorgebracht, Floridsdorf hatte auch das Potenzial zur Hauptstadt. 1895, als der Bezirk noch zu Niederösterreich gehörte, hätte Floridsdorf Hauptstadt von Niederösterreich werden sollen. Daraus wurde aber nichts, 1904 wurde Floridsdorf dann in Wien eingemeindet. Seitdem ist es fixer Bestandteil der Stadt. „Und sogar der letzte Teil der Alpen, weil der Bisamberg ja der Auslöser der Alpen ist“, so der Soziologe Girtler, der wegen seiner Tante – einer Floridsdorferin – selbst einen Teil seiner Kindheit im Bezirk verbracht hat.
Typisch für Floridsdorf ist für Girtler nicht nur die hohe Bedeutung des Fußballs, es sind auch die Schrebergärten, die Donau, die Arbeiterkultur und die vielen Dörfer. Denn obwohl es eine Floridsdorfer Identität gibt, identifizieren sich wohl die meisten Bewohner vorrangig mit den einzelnen Bezirksteilen: Stammersdorf, Strebersdorf, Jedlesee, Leopoldau, Donaufeld, Floridsdorf und Großjedlersdorf. Typisch für Floridsdorf sind auch seine Gemeindebauten. 118 Wohnhausanlagen mit 26.000 Gemeindewohnungen gibt es im 21.Bezirk. Nur Favoriten hat mehr Gemeindebauten, nach Floridsdorf belegt die Donaustadt Platz drei.
Die rote Hochburg
Politisch gesehen ist Floridsdorf eine traditionell rote Hochburg. Rund 140.000 Menschen leben hier– womit der 21. Bezirk bevölkerungsmäßig der drittgrößte Bezirk Wiens ist. Wer Wahlen gewinnen will, muss hier punkten. Bezeichnend dafür ist der 10. Oktober 2010. Die SPÖ verlor in dem Flächenbezirk jenseits der Donau 10,64 Prozentpunkte – die absolute Mehrheit der Wiener SPÖ war damit ebenso Geschichte wie die absolute Mehrheit der Sozialdemokraten im Bezirk. Und wie in allen großen Arbeiterbezirken ist die FPÖ der große politische Gegenspieler – obwohl der Ausländeranteil in Floridsdorf mit 11,6 Prozent der viertniedrigste in Wien ist (der Wien-Schnitt liegt bei 19,3 Prozent). Nun muss auch SP-Bezirkskaiser Heinz Lehner etwas machen, was er nicht gewohnt ist: Er muss sich Mehrheiten für sein Programm suchen.
Apropos Politik: In Floridsdorf tummelt sich auch ein besonderes politisches Wiener Unikum. Hans-Jörg Schimanek, erst FPÖ-Landesrat in Niederösterreich, dann einziger BZÖ-Bezirksrat in ganz Wien, nun FPK-Anhänger, hat mit seiner Bürgerliste Wiff (Wir für Floridsdorf) am 10. Oktober den Sprung in das Floridsdorfer Bezirksparlament geschafft und ist weiter äußerst umtriebig.
Floridsdorf ist aber auch ein Bezirk mit Zukunft. Städtebaulich wird hier eines der derzeit spannendsten Großprojekte Wiens realisiert: Auf dem ehemaligen ÖBB-Areal in Floridsdorf entsteht um 825 Millionen Euro das Spital Wien-Nord, in dem mehrere Spitäler konzentriert werden (Semmelweisklinik, Orthopädisches Spital Gersthof, Krankenhaus Floridsdorf). Ab 2015 wird dieses Megaspital, das die Gesundheitsversorgung der Wiener jenseits der Donau übernimmt, in Teilbetrieb gehen.
U6 bis Stammersdorf?
Nur: Die U6 wird weiterhin in der bisherigen Endstation in Floridsdorf enden – das Krankenhaus Wien-Nord muss daher ohne leistungsfähige U-Bahn-Anbindung auskommen. Zwar wurde sicherheitshalber eine Station eingeplant, aber eine U6-Verlängerung nach Stammersdorf, oder sogar über die Stadtgrenze hinaus nach Niederösterreich, wäre frühestens 2019 möglich. Wobei mehr als unsicher ist, ob die U6-Verlängerung jemals kommen wird. Das Vorstadt-Image wird dem Bezirk also noch etwas länger anhaften.
In Zahlen: Floridsdorf
Der 21. Bezirk zählt rund 140.000 Einwohner und besteht aus sieben Bezirksteilen, die eine Fläche von etwa 44,5 km2 umfassen. Der bevölkerungsmäßig drittgrößte Bezirk der Stadt beherbergt 118 Gemeindebauten mit 26.000 Wohnungen – nur Favoriten hat mehr Gemeindebauten. Floridsdorf ist außerdem der Bezirk mit dem viertniedrigsten Ausländeranteil aller Wiener Bezirke (11,6 Prozent).
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2011)