Spionage: Cyberattacke auf IWF lässt Finanzwelt erzittern

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Ob Staaten, Spekulanten oder Anarchos: Wer die sensiblen Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) stiehlt, hat politisches Dynamit in Händen. Die Cyberkriminellen haben über mehrere Monate hin zugeschlagen.

Wien/Gau. Als hätte man beim Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht schon genug Sorgen: Eigentlich sollte die wichtigste Finanzinstitution der Welt gerade die Schuldenkrise der Euro-Problemstaaten zu lösen helfen. Aber seit Dominique Strauss-Kahn der versuchten Vergewaltigung eines Zimmermädchens angeklagt wurde und zurücktreten musste, fehlt der Herr im eigenen Haus. Und jetzt auch noch das: Die Krisenfeuerwehr mit Sitz in Washington wurde Ziel eines groß angelegten Angriffs von Hackern.
Und das nicht erst gestern: Über mehrere Monate hin haben die Cyberkriminellen zugeschlagen. Aber erst vor zwei Wochen wurde das Leck entdeckt, und erst vergangenen Mittwoch erfuhr das Direktorium davon. Der Desktop eines Mitarbeiters wurde missbräuchlich benutzt, um in das System einzudringen. Ein als harmloser E-Mail-Anhang getarntes Programm machte die Eindringlinge zu „digitalen Insidern“ des gesamten Netzwerks. Eine so geschickte „Malware“ habe man „noch nicht gesehen“, sagte ein IT-Experte der IWF-Schwesterorganisation Weltbank zum „Wall Street Journal“.
Das lässt Schlimmes ahnen. Denn der IWF ist ein Hort von hoch sensiblen und damit hoch explosiven Informationen: inoffizielle Zahlen über die Finanzlage von Staaten, geheime Details über Hilfsabkommen, Memos über die Verhandlungen mit anderen Staaten, die diese Hilfen mitfinanzieren, aber auch Pläne zu neuen Währungsregeln oder Regulierungen für Banken. Jedes größere Datenleck hat das Potenzial, Strategien zu vereiteln, Staaten mit prekärer Liquiditätslage aus der Bahn zu werfen, Bürger auf die Straßen zu treiben und die Stabilität der Finanzmärkte zu erschüttern.
Fragt sich nur: Wer will so etwas? Ein mögliches Motiv hätten viele, die Liste der Verdächtigen ist lang. Das sehr professionelle Vorgehen lässt Experten vermuten, dass die Hacker nicht auf eigene Faust handeln, sondern einen Auftrag von der Regierung, dem Geheimdienst oder der politischen Opposition eines Staates erhalten haben.
Griechen? Oder Nordeuropäer, die Athen nicht mehr finanzieren wollen? Die Spur scheint eher nach China zu führen: Das Muster der Attacke erinnert an einen Zwischenfall vor zwei Jahren. Damals wurden sensible Daten aus Computern hoher Beamter des US-Finanzministeriums gestohlen – knapp vor einer Beratungsrunde mit Peking über den überbewerteten Yuan und protektionistische Handelspraktiken. Erst vor Kurzem hat Google die Führung in Peking offen eines Cyberangriffs beschuldigt.
Einen sehr starken, weil finanziellen Antrieb hätten Spekulanten, die sich Insiderinformationen ergaunern wollen: Das exklusive Wissen darüber, dass ein Hilfsprogramm für einen Krisenstaat kurz vor dem Abschluss oder Abbruch steht, ist für Währungshändler, Anleiheinvestoren und ihre Versicherer Goldes wert.
Und dann wären da noch die traditionellen Feinde des IWF: die Globalisierungsgegner. Ziemlich verdächtig hat sich eine spanische Hackerplattform namens Anonymous gemacht. Vor wenigen Wochen rief sie zu Angriffen auf das Datennetz des Fonds auf, „als Zeichen des Widerstands gegen die korrupten Sparpläne“ für Athen, die das griechische Volk zu „anhaltender Armut und einem dramatischen Rückgang ihres Lebensstandards“ verdamme. Allerdings waren die bisherigen Aktionen der „Anonymen“ eher harmlos-plakativ: Sie legen Webseiten verhasster Organisationen für einige Stunden lahm, so wie erst am Pfingstsonntag jene der spanischen Polizei.

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