Jedermann als Kotzbrocken jenseits von Gut und Böse

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Gott lässt den Tod einen wilden Sünder holen, der eigentlich des Teufels ist, aber im letzten Moment bereut.Nicholas Ofczarek bietet eine tolle Show in Salzburg. Auch das Ensemble ist in Form.

Seit dem Vorjahr ist das Schauspiel „Jedermann“ bei den Festspielen eine besonders schrille Party. Nicholas Ofczarek fegt kraftgenialisch und gemein, Birgit Minichmayr emanzipiert, spröd und nur zuweilen sinnlich werbend als Buhlschaft über den Domplatz. Regisseur Christian Stückl, der die Inszenierung von Hofmannsthals „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ seit 2002 betreut, hat aus dem weihevollen Drama ein postbarockes Spektakel gemacht – frei nach dem Original. Gott lässt den Tod einen wilden Sünder holen, der eigentlich des Teufels ist, aber im letzten Moment bereut.

Stückl nimmt Anleihen beim Volksstück; die Riederinger Kinder treiben ein Spiel im Spiel. Er zitiert höfische Feste; die Tischgesellschaft ist dekadent wie zu Casanovas Zeiten. Marlene Poley, die die Bühne marmorkalt gestaltet, hat die Damen und Herren als Karikaturen des Feinen eingekleidet. Und sogar bei „Faust“ wird geklaut: Der Teufel darf bei diesem „Jedermann“ nicht nur höhnisch das Glaubensbekenntnis zitieren, sondern auch Passagen aus Goethes Prolog im Himmel. Peter Jordan spielt diesen Part und den guten Gesell köstlich scharf und skurril.

Wie aber geht der Hauptdarsteller mit so viel Synkretismus um? Ofczarek genießt das exzessive Spiel. Er ist anfangs ein Kotzbrocken jenseits von Gut und Böse, der das Loblied des Frühkapitalismus singt und seine Leute erbarmungslos traktiert. Wenn das Sterben einsetzt, hat er spektakuläre Herzanfälle. Das Überzeichnete aber erzeugt auf dem riesigen Platz Nähe. 2010 hat Ofczarek bei seiner Premiere diese Show derart dominiert, dass fast alle Mitspieler verblassten. Heuer aber wurden für die Premiere am Mittwoch seine Kanten abgeschliffen, das Team gewinnt Konturen. Dienerschaft und Tischgesellschaft sind in ihren Einsätzen so sicher wie die Musiker der Ars Antiqua Austria unter Gunar Letzbor. Großartig tritt Ben Becker als gewaltiger und doch sanfter Tod auf. Eine Bereicherung ist Lina Beckmann als Gute Werke, die einzige Neubesetzung in diesem Jahr. Sie spielt ein verflossenes Dirndl-Liebchen des reichen Mannes und geht mit diesem bizarren Einfall variantenreich um: spöttisch, hilflos und liebend.

Stückl hat sich weit weg gewagt vom ursprünglichen Konzept des Stücks, fast beliebig hat er immer neue Variationen geschaffen. Mit einem gut eingespielten Ensemble wie diesem aber geht seine Rechnung auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2011)

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