An der künftigen Schengen-Grenze: Kaum „spektakuläre Fälle“

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Rumänien will unbedingt noch in diesem Jahr Mitglied im Schengen-Klub werden. Der Kampf um die Kontrolle der EU-Außengrenze ist für die Regierung in Bukarest zur nationalen Causa geworden.

Ungheni. Normalerweise wird Unghenis gemächlicher Rhythmus nur zweimal pro Tag, und zwar in der zweiten Tageshälfte, gestört. Da halten internationale Züge, aus dem namensgleichen Ort in der Republik Moldau vom anderen Ufer des Grenzflusses Prut kommend, in dem rumänischen Dorf und versperren auf dem Bahndamm den Autos und Pferdefuhrwerken die Durchfahrt, bis die Grenzpolizisten mit ihren Kontrollen fertig sind. Heute hat die Bewohner von Ungheni schon zu Mittag Glockengeläut aufgeschreckt. Ein Mann, 83 Jahre wurde er alt, wird begraben. Der Trauerzug trottet am Bahnhof vorbei, zunächst in die Kirche, dann Richtung Friedhof.

Gheorghe Bunduc steht auf dem Bahndamm und hört den gleichmäßigen Glockenschlägen zu. Dass seiner Ortschaft bald eine noch wichtigere Rolle bei der Sicherung der EU-Außengrenze zukommen könnte, ist dem 66-Jährigen ziemlich egal. „Nichts hat sich hier verändert“, sagt der Mann mit der tief ins Gesicht gezogenen olivgrünen Schirmkappe und der blauen Arbeitsjacke, und es klingt so, als würde er das auch für die Zukunft ausschließen.

Kontrollen nicht streng genug?

Die Herren der rumänischen Regierung in Bukarest sehen das ein wenig anders. Sie haben den Kampf um Schengen zur nationalen Causa erhoben. Der ursprüngliche Plan, wonach Rumänien und Bulgarien (beide 2007 der EU beigetreten) im März 2011 zu neuen Mitgliedern der Schengen-Zone werden sollten, ist wegen des Widerstands von Deutschland, Frankreich und den Niederlanden nicht aufgegangen. In der Schengen-Zone gibt es keine stationären Grenzkontrollen mehr, derzeit endet sie noch vor Rumänien – an der ungarischen Ostgrenze.

Zwar erfüllten Bukarest und Sofia die formalen Kriterien, doch befürchtete man, dass wegen der grassierenden Korruption die Kontrollen nicht streng genug sein könnten. Die EU-Innenminister wollen im September über einen neuen Fahrplan für den Schengen-Beitritt beraten.

Rumänien zeigte sich verärgert, sprach von „Doppelmoral“ und ging in die Offensive: Man lud internationale Journalisten ein, verteilte Werbe-DVDs, ließ bunte Broschüren drucken, die die eigenen Fortschritte priesen.

Der überschaubare Bahnhof von Ungheni – zwei Gleise, zwei Bahnsteige, ein geducktes Häuschen – wurde innerhalb von drei Wochen im vergangenen Jahr hochgerüstet. Der Bahnhofsbereich ist nun eingezäunt, eine „Detention Facility“ steht für Reisende bereit, für die es nicht mehr weitergeht, zwei getrennte Schalter zur Passkontrolle – für Nicht-EU- und EU-Bürger –, 28 Kameras filmen das umliegende Gelände. Schon derzeit werden Kontrollen nach Schengen-Standard durchgeführt. Hier lässt man sich nicht vorwerfen, man würde schludrig kontrollieren. Es sei einfach nicht besonders viel los, sagt der Chefinspektor der Grenzpolizei von Iaşi, Stefan Alexa. Zu den „spektakulären Fällen“ zählt er den Fund von 200 Gramm Dynamit vor knapp zwei Jahren, oder 436 Anabolika-Pillen, die man unlängst abgefangen hat. Was die Behörden hier beschäftigt, sind „Zigaretten, Zigaretten, Zigaretten – billige Schmuggelware aus Moldawien“, sagt Alexa.

Entlang der 680 Kilometer langen Grenze zwischen Rumänien und Moldawien gibt es zehn Grenzübergänge, sieben auf der Straße und drei auf der Schiene.

Gheorghe Bunduc war noch nie am anderen Ufer des Prut in Moldawien. Aber natürlich würden viele dort einkaufen gehen, es sei ja um einiges billiger. Dann ist der Trauerzug vorübergezogen, und Bunduc stapft wieder nach Hause. Bis zur Ankunft des internationalen Zuges um 16.39 Uhr dürfte in Ungheni nichts Außergewöhnliches mehr passieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2011)

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