Der tägliche Missbrauch

Die Gesellschaft schaut weg: Sexuelle Gewalt gab es nicht nur in der Vergangenheit.

Fassungslos zeigen sich Politiker über publik gewordene sexuelle Gewalt gegen Kinder in Wiener Heimen. Alles finstere Vergangenheit, wird suggeriert, lang her, 30, 40 Jahre. Für die Betroffenen aber bedrückend präsent.

Sicher wird zu klären sein, weshalb das letzte Heim Wiens erst 2000 geschlossen wurde. Sich darauf zurückzuziehen, dass die Erzieher pragmatisiert gewesen seien, ist mehr als Zynismus. Wenn es eines weiteren Beweises noch bedurft hätte: Wegschauen und Verdrängen oder gar Vertuschen sexueller Gewalt war lange nicht nur in der katholischen Kirche übler Usus. Präsent ist das Problem aber auch in anderer Weise. Verbrechen sexueller Gewalt gegen Kinder finden auch nach Schließen aller Heime statt. Heute. Der Blick auf die Zahlen zeigt: Durchschnittlich wird jeden Tag ein Mann wegen sexueller Gewalt gegen Unmündige verurteilt. Die Politik ruft maximal zu einem folgenlosen runden Tisch. Bis zum Auftauchen neuer Fälle. Sind tatsächlich alle, die Kinder betreuen (auch in Vereinen!), ausgebildet, Missbrauch vorzubeugen oder zu erkennen? Zweifel sind angebracht.

 

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2011)


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