Eine Kandidatenkür mit Gottes Hilfe

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Mit Gottvertrauen und heiterem Gemüt schritten die republikanischen Wähler in Pella zum „Caucus“ in der Sporthalle der Christian High School – einer routinemäßigen staatsbürgerlichen Pflichtübung.

Pella. Am Wahlabend geht alles seinen beschaulichen Gang in Pella, einer Niederlassung holländischer Siedler im Herzen von „God's own country“. Nachmittags um fünf Uhr intoniert das Glockengeläut „Tulpen aus Amsterdam“, das Pella Opera House führt den Kinoklassiker „Sound of Music“ auf. Daneben in der „Vermeer Windmill“ ist Bonnie Verberg bis zum letzten Augenblick unschlüssig, wem sie ihre Stimme auf dem grünen Wahlzettel geben soll. Vor vier Jahren votierte sie beim „Caucus“ der Demokraten noch für John Edwards – eine Entscheidung, die sie heute bereut.

Mittlerweile ist die Museumsdirektorin des pittoresken holländischen Schaudorfes mit den charakteristischen Giebeldächern, den Backsteinbauten und der Windmühle südöstlich der Hauptstadt Des Moines, das alljährlich ein Tulpenfest und Sinterclaas feiert, in den Schoß der Republikaner zurückgekehrt. Sie geht das Kandidatenfeld durch. Newt Gingrich? „Ich habe einen guten Eindruck. Bei einem Besuch hat er hier alle Geschäfte abgeklappert. Ich könnte aber auch gut mit Rick Santorum und Mitt Romney leben.“ Rick Perry? „Nicht reif für den Job, nicht schnell genug im Kopf.“

Letzten Umfragen zufolge waren trotz eines intensiven Wahlkampfs noch 40 Prozent der republikanischen Stammwähler in Iowa unentschieden, bevor sie an einem kalten Winterabend zwischen Sioux City, der westlichen Grenzstadt am Missouri, und Dubuque, dem östlichen Außenposten am Mississippi, in mehr als 1700 Wahlversammlungen ihren Präsidentschaftskandidaten ermittelten. Eine in erster Linie symbolhafte Wahl, die allerdings nur bedingt als politisches Barometer taugt.

Wandelnde Litfasssäulen

Schneidend pfeift der Wind über die Prärie, der Schnee ist heuer jedoch ausgeblieben. Vor der Christian High School an der Peripherie Pellas sind die Parkplätze voll, vor dem Eingang haben sich Anhänger als Litfasssäulen für ihre Kandidaten aufgepflanzt. Augenscheinlich sind die Fans von Rick Santorum und Ron Paul am stärksten beseelt von ihrer politischen Mission.

Mit einem beschwingten Lächeln und einem heiteren Gruß auf den Lippen schreiten viele zur staatsbürgerlichen Tat, einer routinemäßigen patriotischen Pflichtübung, die Iowa alle vier Jahre ins nationale Rampenlicht rückt. Im Foyer zeigen sie ihre Registrierung vor, drinnen füllt sich die Sporthalle – Heimat der „Pella Eagles“ – mit einem Fassungsvermögen von 1700 Zuschauern. An der Stirnseite prangt der Weißkopfadler, das Wappentier der USA, an den Wänden hängen die Auszeichnungen des lokalen Basketballteams.

Der Wahlabend folgt einem bewährten Ritual: Nach dem obligaten Fahneneid und der US-Hymne stimmt Irene Blom, die betagte Parteivorsitzende von Marion County, ihre Parteifreunde mit religiösen Aufmunterungen, Auszügen aus dem „Tagebuch eines Ungeborenen“ und einem Gebet auf die Wahl ein: „Hilf uns, oh Herr, einen Führer zu küren. Gib uns Kraft und Weisheit.“

Danach treten in alphabetischer Reihenfolge die Fürsprecher der Kandidaten auf. Für Michele Bachmann ergreift ihr Mann Marcus das Wort. Affektiert singt er ein Loblied auf die Frau mit dem „Rückgrat aus Titan“, auf die Ehe zwischen Mann und Frau: „Mit 16 Jahren haben wir unser Leben Christus geweiht.“ Newt Gingrich lässt eine Botschaft verlesen, die pompös „große Lösungen für große Probleme“ verheißt. Für Ron Paul steigt seine Tochter Joey, Gynäkologe wie ihr Vater und Mutter von fünf Kindern, in die Arena. Der Proponent Mitt Romneys bleibt – wie der Kandidat selbst – eher blass und ist nach kaum einer Minute bereits mit seinem Lobgesang zu Ende: „Er ist seit 42 Jahren mit derselben Frau verheiratet, und das ist wundervoll.“ Nur für Jon Huntsman wollte niemand die Stimme erheben. Er hatte Iowa links – besser: rechts – liegen lassen.

Nach einer Stunde ist die Wahl schon wieder vorbei, und die Mehrzahl strömt aus dem Saal, ohne die Verkündung der Auszählung abzuwarten. Während drinnen lokalpolitische Themen zur Debatte stehen, geht draußen die Diskussion über die Kandidaten munter weiter. „Gingrich ist am besten qualifiziert“, tönt der Pastor Jerry Vanwyk. „Er ist so alt wie ich, und das ist schon einmal nicht schlecht“, scherzt er. Sein Cousin, ein breitschultriger Farmer und Weltkriegsveteran, der sich nur „The Dynamite“ nennt, eifert dagegen für Rick Perry. Brian Older, Pastor im Nebenberuf, wünscht sich Ron Paul im Weißen Haus – für Bill Moll ist die libertäre Galionsfigur freilich zu alt. „Mein Mann ist Santorum. Er ist ein Einzelgänger, konservativ und standhaft.“

Appell an Parteidisziplin

Am Ende verkündet Irene Blom das Ergebnis, verbunden mit einem Appell: „Als Christen und als Konservative ist es unsere Pflicht, für den republikanischen Kandidaten zu stimmen.“ Vor vier Jahren, erzählt sie mit Abscheu, habe es Republikaner gegeben, die für einen Demokraten stimmten, nur um dem eigenen ungeliebten Kandidaten – John McCain – ein Schnippchen zu schlagen. Das soll sich diesmal, bitte schön, nicht wiederholen – und jeder denkt dabei an Mitt Romney, den hölzernen Favoriten.

In Pella hat sich Rick Santorum mit 412 Stimmen klar vor Paul (189), Perry (170) und Romney (150) durchgesetzt. Dass Santorum am Unabhängigkeitstag in der Festtagsparade in Pella mitmarschierte, brachte ihm viele Sympathien ein. „Er ist der Last Man Standing“, sagt Older. Und Angela Alsum fühlt sich vom Resultat bestätigt: „Ich habe für den gestimmt, den Gott wollte.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2012)

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