Der US-Präsident verordnet sich eine aggressivere Politik und will die Republikaner stärker in die Schranken weisen. Die vorwiegend weiße Arbeiterschicht wählte den dunkelhäutigen Intellektuellen eher widerwillig.
Washington/Des Moines/Vier. Der Präsident wollte sich eine schlechte Nachrede und neiderfüllte Kritik ersparen. Statt seinen Gegnern Schnappschüsse eines Golf spielenden Müßiggängers inmitten eines tropischen Ambiente zu liefern, kehrte Barack Obama pünktlich vor dem „Caucus“ der Republikaner aus seinem traditionellen Weihnachtsurlaub in Hawaii nach Washington zurück. Und er verlor keine Zeit, die Amtsgeschäfte wieder aufzunehmen, die ihn im Übrigen auch in die Ferien begleitet hatten.
Noch Dienstagabend hielt er einen Web-Chat, eine Plauderstunde via Internet, mit demokratischen Parteifreunden in Iowa ab. Im Agrarstaat, der vor vier Jahren seinen Aufstieg eingeläutet hat, unterhält Obamas Wahlkampfteam immerhin acht Büros mehr als jeder seiner Herausforderer. Während der republikanische Wahlkampftross am Mittwoch bereits nach New Hampshire weiterzog, reiste der Präsident in die Gegenrichtung nach Cleveland in Ohio, dem von der Krise geschüttelten Industriestaat im Rostgürtel im Norden.
Hier, im umkämpften „Battleground“-Staat, entscheidet sich unter anderem sein politisches Schicksal. John Kerry verspielte in Ohio 2004 seinen Sieg gegen George W. Bush. Mit Unterstützung Joe Bidens, seines jovialen Vizepräsidenten, der bei den Arbeitern gut angeschrieben ist, will Obama die Unzufriedenen bei der Stange halten.
Subjektiv empfundene Rezession
Die vorwiegend weiße Arbeiterschicht wählte den dunkelhäutigen Intellektuellen 2008 eher widerwillig, sie favorisierte eigentlich Hillary Clinton. Schon im Vorjahr absolvierte der Präsident eine Reihe von Auftritten im maroden Herz der Stahlindustrie, und auch Mitt Romney hat Ohio ins Visier genommen. Noch von Hawaii aus trommelte Obama zum Jahreswechsel die Botschaft von einem leichten Aufschwung, der sich im subjektiven Empfinden der Amerikaner jedoch nach wie vor wie eine Rezession ausnimmt.
Vor Weihnachten ging die Arbeitslosenquote auf 8,6 Prozent zurück, unter anderem deshalb, weil viele die Jobsuche frustriert aufgegeben hatten. Andere Indikatoren, wie etwa die steigenden Konsumausgaben, implizieren eine Belebung der Konjunktur. Aus Sicht des Weißen Hauses ist indes die europäische Schuldenkrise der größte Unsicherheitsfaktor in einem Wahljahr, in dem der nachhaltigen Erholung der Wirtschaft entscheidende Bedeutung zukommt.
Die Krise der Eurozone ist für Washington längst nicht gebannt. Zur Urwahl in Iowa lancierte das Wahlkampfhauptquartier des Präsidenten in Chicago Videos vom Obama-Triumph vor vier Jahren. Getragen von einer Welle jugendlichen Enthusiasmus brüskierte der Neosenator aus Illinois damals die deklarierte Favoritin Hillary Clinton. Die Euphorie ist in der Zwischenzeit verebbt. Viele Studenten, die einst für Obama in den Wahlkampf gezogen sind, rackern sich nach Ende ihres Studiums ab, um einen adäquaten Job zu finden.
Mitt Romney im Visier
Nichtsdestoweniger läuft Obamas Wahlkampfmaschinerie wie geschmiert. Während die Republikaner sich im Vorwahlkampf gegenseitig zerfleischen, fokussiert sich die Wahlkampfzentrale des Präsidenten darauf, die nachlassende Spendenbereitschaft der Obama-Anhänger mit steten Aufrufen und Aktionen anzukurbeln. Zugleich verbeißen sich die Wahlkampfstrategen des Präsidenten in den vermeintlich härtesten Herausforderer. Wie einst George W. Bush kein gutes Haar an John Kerry ließ, so zerpflücken die Obama-Leute ungewöhnlich früh die wechselhaften Positionen Mitt Romneys.
Als Ziel hat der Präsident postuliert, mit einer von einer aggressiveren Politik geprägten Offensive ins Wahljahr zu starten. Statt wie in den vergangenen drei Jahren den Konsens zu suchen, legt er es auf eine Konfrontation mit dem republikanisch dominierten Repräsentantenhaus an. Schon die traditionelle „Rede zur Lage der Nation“ in drei Wochen, an der Obama im Urlaub gefeilt hat, soll im Kapitol einen neuen Ton setzen und den Enthusiasmus enttäuschter Anhänger von Neuem anstacheln. Frisch erholt, will der Präsident Elan versprühen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2012)