Umbrien: Die grüne Schatzkammer

Wer kennt Italien schon in- und auswendig? Umbrien zum Beispiel, das grüne Herz des Stiefellandes, sagt meist nur den Franziskanern etwas.

TIPPS

Umbrien und Wien Leopoldstadt, der zweite Wiener Gemeindebezirk, haben etwas gemeinsam: Sie werden beide unter ihrem Wert verkauft. Nur eine Brücke trennt die reizvolle Gegend am Donaukanal vom Herzen der City, doch selbst die Nähe zum Stephansdom macht den kleinen Unterschied in der Adresse nicht wett: Das Pflaster im Ersten ist nun mal das teuerste der Stadt – und Umbrien ist nicht die Toskana. Dabei kann es die fünftkleinste Region Italiens in nahezu jeder Hinsicht mit der berühmten Nachbarin aufnehmen. Und das Beste daran: Nicht nur die Immobilienpreise blieben am Boden, auch eine Reise durch die mit Schönheiten reich gesegnete umbrische Kulturlandschaft ist um einiges erschwinglicher.

Das Wesentliche zuerst. Man kann das grüne Herz Italiens von A wie Assisi bis Z wie Zocco erforschen, was allerdings in einem einzigen Urlaub kaum gelingen wird. Nahezu jeden Hügel des Landes der Etrusker und Umbrer krönt nämlich eine Kirche oder ein Schloss, und jeder Fluss oder See, jeder Acker und jedes Wäldchen schrieb als Schauplatz eines Ereignisses irgendwann einmal Geschichte.

Wer Umbrien kennenlernen möchte, muss sich vorerst auf das Wesentliche, auf das A und O, konzentrieren – mit der Heimat des Heiligen Franz von Assisi zum Einstieg, einem Abstecher in die Hauptstadt Perugia nicht nur als süße Sünde, mit Gubbio zum Verweilen und Orvieto, dem Fluchtort der Päpste im Tibertal, zum Ausklang.
Assisi ist zu jeder Jahreszeit eine Reise wert – außer in den Tagen rund um den 4. Oktober. Da ist es klüger, das kleine Städtchen zu Füßen des Monte Subasio großräumig zu umfahren. Nach dem Vatikan gilt es nämlich als das bedeutendste religiöse Zentrum des Landes – und ganz Italien scheint San Francesco alljährlich zu seinem Todesdatum seine Reverenz zu erweisen.
Dass man gelernt hat, mit einem Massenansturm an Pilgern umzugehen, beweisen die riesigen Parkplatzanlagen vor den Stadtmauern. Per Lift erreichen Besucher rasch und bequem die Doppelkirche San Francesco am westlichen Ende der Stadt. Das kunsthistorische Juwel aus dem 13. und 14. Jahrhundert hatte kein geringerer als der geniale Giotto mit 28 Fresken ausgestattet und damit wohl eines der schönsten Bilderbücher der Welt geschaffen.

Die Spuren des schweren Erdbebens von 1997 sind längst beseitigt – und die Basilika gehört so wie die anderen franziskanischen Pilgerstätten von Assisi seit dem Jahr 2000 zum Weltkulturerbe der Unesco. Um sie alle aufzusuchen, muss man allerdings gut zu Fuß sein. Immer wieder verbinden steile Gassen oder Treppen die parallel verlaufenden Lebensadern des Städtchens, das längst vom Tourismus lebt. Souvenirläden, die keinen Ladenschluss kennen, prägen das Bild ebenso wie unvermeidliche Fast-Food-Lokale und überteuerte Trattorien.

Und doch – im sanften Licht der Abendsonne funkeln die Fassaden der aus Travertin, einem Kalkstein, erbauten Häuser in weiß-rosa Glanz, und ein rosaroter Schimmer legt sich auch über die Stadtmauer, bevor die gewaltige Bastion in violettfarbenem Dunkel versinkt. Wenn man ihr den Rücken kehrt, sollten zumindest vier weitere Besichtigungspunkte abgehakt sein: die Piazza Comunale mit dem Minerva-Tempel aus der Zeit des römischen Asisium, die Kirche Santa Chiara, in der die heilige Klara begraben liegt, der Dom San Rufino mit seiner umwerfend schönen romanischen Fassade und zu guter Letzt die Rocca Maggiore, wo einst Kaiser Friedrich II. einen Teil seiner Kindheit verbracht hatte. Von der Trutzburg der Hohenstaufer blieb lediglich eine dekorative Ruine, unzerstörbar aber ist der Ausblick, der sich vom Bergfried aus bietet.

Überblick kann einiges wert sein. Perugia sitzt auf seinem Berg wie die gestrandete Arche Noah, dreihundert Meter über dem Tiber und sechshundert über dem Meer. Mit engen Treppen, Gassenfluchten und steilen Straßen, die allesamt für den individuellen Verkehr gesperrt sind. Privatautos sind seit einigen Jahren ein Tabuthema, auch jene der Ortsansässigen, die ihre Garagen und reservierten Parkplätze wie auf der Flucht ansteuern. Eine mittelalterliche Stadt will zu Fuß erobert werden, und in Perugia bleibt einem Besucher gar nichts anderes übrig. Wobei gleich eine ganze Reihe von Rolltreppen ins historische Zentrum die Sache wesentlich erleichtern.
Sobald die Nacht hereinbricht, ist die Illusion einer Reise in die Vergangenheit perfekt. Das 21. Jahrhundert bleibt auf dem Corso Vannucci zurück, wo sich ganz Perugia allabendlich ein Stelldichein gibt. Nur ein paar Schritte weiter und man taucht ein in eine Welt zyklopischer Bogengänge, die über langgestreckte Stufen in die Höhe – oder ins Nichts – führen. Immer wieder steht man vor massiven Mauern altehrwürdiger Palazzi oder gerät auf eine Terrasse, die den Blick auf eine verwirrende Dachlandschaft preisgibt. Perugias bewegte Vergangenheit lässt sich in dieser Stimmung förmlich greifen.

Friedlich ist es in der uralten Etruskerstadt nämlich nur selten zugegangen. Doch von den blutigen Gemetzeln, die sich die verfeindeten Adelsfamilien der Oddi und Baglioni einst lieferten, will heute kaum noch jemand etwas hören. Schon gar nicht, sobald sich Perugia von seiner Schokoladenseite zeigt. Wie alljährlich im Oktober, wenn die „Eurochocolate“ stattfindet.
Fast eine Million Menschen findet sich bei der größten internationalen Schokoladenmesse der Welt in der Hauptstadt Umbriens ein, die sich für diesen Anlass auch gehörig herausputzt. Jede Piazza, die auf sich hält, ist mit Skulpturen aus purer Schokolade geschmückt. An hunderten Ständen können süße Spezialitäten aus ganz Italien verkostet werden. In der Beliebtheitsskala nach wie vor ganz oben rangieren die berühmten „Baci Perugina“, die „Küsse aus Peruga“ – Pralinen mit einer Füllung aus Nougat und ganzen Haselnüssen. Von kulinarischen Verführungen konnte Perugias größter Sohn einst wohl nicht einmal träumen: Pietro di Cristoforo Vannucci, genannt „Il Perugino“ (1445–1523), war in seiner Jugend bitterarm. Das soll er nie vergessen und für Geld alles gemalt haben – Kreuzigungsszenen, Himmelfahrten und sanfte Madonnen sonder Zahl. Das schrieb zumindest Giorgio Vasari in seinen Künstlerbiographien, der auch sonst wenig Schmeichelhaftes über den Lehrer Raffaels und malenden Senkrechtstarter aus Umbrien zu berichten wusste. Wie auch immer, Perugino hat  jedenfalls in kürzester Zeit eine bemerkenswert steile Karriere gemacht.

Wer seine Werke sehen möchte, muss sich in den Palazzo Priori begeben, in dem die Galleria Nazionale dell’Umbria untergebracht ist. Die bedeutendste Pinakothek der Region zeigt aber auch Meisterwerke von Fra Angelico, Piero della Francesca und Giovanni di Pietro. Ein Selbstbildnis des Perugino hingegen findet sich im Nobile Collegio del Cambio zwischen zwei Fresken, erkennbar an der roten Malerkappe. Auch sein Schüler Raffael, der ihm bei der Ausgestaltung des prachtvollen Audienzsaals zur Hand ging, ist hier in einer Selbstdarstellung zu finden: Als Daniel an der rechten Wandseite. Nur etwa 30 Kilometer Luftlinie liegt Gubbio von Perugia entfernt, in Straßenkilometern kommt man freilich leicht auf das Doppelte. Und doch sollte man den Ort, an dem Bruder Wolf einst dem heiligen Franz seine Pfote reichte, nicht versäumen. Es ist eine Fahrt durch ein verzaubertes Land, wie es die alten Meister als Hintergrund ihrer Madonnenbilder gemalt haben.

Arme-Leute-Küche und Trüffel. Auch das Städtchen selbst kann gleich mit einer ganzen Reihe von Sehenswürdigkeiten und einem berühmten Fest – der „Corsa dei Ceri” – aufwarten. Alljährlich werden am 15. Mai riesige Holzidole in einer hektischen Jagd durch die engen alten Gassen bugsiert. Kulinarische Feinspitze ziehen hingegen einen Besuch im November vor, um auf dem Markt einzukaufen. Gubbio gilt als Dorado der weißen umbrischen Trüffel, eine Köstlichkeit, die man in einem der vielen kleinen Restaurants gleich vor Ort verkosten kann.
Ein Geheimtipp für jede Jahreszeit ist die „Trattoria Bottacione“, die nicht nur wegen ihrer „Tagliatelle con ragù dei funghi e tartufo“ – handgemachte Teigwaren mit einer Sauce aus Pilzen und Trüffel – zu den beliebtesten Lokalen der Einheimischen zählt. Sämtliche Gerichte werden nach Originalrezepten ohne Neuinterpretationen oder Verfälschungen zubereitet. Es ist die traditionelle Küche der armen Leute, phantasievoll und reich an Geschichte und Geschmack. Und auch dem Hauswein, der von den umliegenden Hügeln stammt, kann man blind vertrauen: Er ist einfach, leicht und bekömmlich.

Vorzüglich speisen kann man auch in Orvieto, das unweit der Autobahn zwischen Florenz und Rom, aber abseits der großen Touristenströme liegt. Die von den Etruskern gegründete Stadt thront, nein, schwebt geradezu in 150 Meter Höhe auf einem Tuffstein-Plateau hoch über dem Paglia-Fluss hart an der Grenze zur Toskana, die nur allzu gern den umwerfenden Dom Santa Maria für sich reklamieren würde. Die Fassade aus dem 14. Jahrhundert, die sich wie ein kostbares Reliquiar goldfunkelnd vor den eleganten, grau-weiß gebänderten Seitenmauern erhebt, zählt zum Schönsten, was Italien zu bieten hat. Vom nicht minder begeisternden Inneren seien nur die Fresken von Luca Signorelli erwähnt, der mit seiner Interpretation des Jüngsten Gerichts (1499–1502) eines der größten Meisterwerke der italienischen Kunst geschaffen hat.
Das etruskische Erbe ist in Orvieto allgegenwärtig. Im Negativen, denn vor Jahrtausenden hat das geheimnisumwitterte Volk das Tuffgestein unterhalb der Stadt für Nekropolen und Lagerräume ausgehöhlt – und die Folgen sind fatal. Nach heftigen Regenfällen drohte halb Orvieto nicht nur einmal ins Tal abzurutschen, und es kostet Unsummen, die Gefahr zu bannen. In der Positivbilanz hingegen rangieren Schätze wie die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts abgenommenen Wandmalereien aus etruskischen Gräbern in der kunsthistorischen Werteskala ganz oben.

Zu finden sind die Szenen aus heidnischer Vergangenheit im Archäologischen Museum, das pikanterweise im einstigen Papstpalast untergebracht wurde. Wie Viterbo und später Avignon besaß Orvieto nämlich im Mittelalter ein festes Regierungsgebäude für Päpste, denen das römische Pflaster zu heiß geworden war. Und so darf es auch nicht erstaunen, dass eines der beliebtesten Feste der Christenheit von Urban IV. für Orvieto erfunden wurde: 1264 ließ er die erste Fronleichnamsprozession durch die Stadt ziehen. Dass sich das dazugehörige Ereignis ein Jahr davor am Bolsenasee und somit in der Region Latium zugetragen hatte, störte den Heiligen Vater ebenso wenig wie die Umbrer selbst. Ausnahmsweise hatten sie einmal gegenüber den Toskanern die Nase vorn – und das ist für sie bis heute das eigentliche Fronleichnamswunder.



Assis
Terra Natia: Via Berlinguer 5, (0039) 075 804 41 93 Nettes Drei-Sterne-Hotel in einem ehemaligen Bauernhaus aus dem 15. Jahrhundert. www.terranatia.it
Da Erminio: Via Montecavallo 19, Tel. (0039) 075 81 25 06 . Urige Trattoria, Altstadt-Tipp für Fleischtiger. www.trattoriadaerminio.it


Gubbio:
Locanda del Gallo: Ortsteil Santa Cristina, Tel. (0039) 075 922 99 12, gemütliches Landhaus mit origineller Ausstattung. www.locandadelgallo.it
Bottaccione: Via Giove Pennino 25, Tel. (0039) 075 927 20 63, traditionsreiches Gasthaus mit umbrischen Spezialitäten. www.osteriadelbottaccione.com


Orvieto:
Inncasa: Ortsteil San Giorgio 6, Tel. (0039) 0763 39 36 82. Rustikale Eleganz im Grünen vor den Toren der Stadt. www.inncasa.eu
La Grotta: Via Signorelli 5, Tel. (0039) 0763 34 13 48. Trattoria mit deftigen Fleischgerichten.
La Palomba: Via Manente 16, Tel. (0039) 0763 34 33 95. Umbrische Küche nach alten Rezepten.
Girarrosto del Buongustaio: Ortsteil Tamburino 81, Tel. (0039) 0763 34 19 35. Prachtblick auf den Dom.

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