Vom Ziegenhirten zum Vortänzer

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Ismet Özdek wird heuer die Eröffnung des Opernballs choreografieren. Der Weg des Österreichers türkischer Abstammung dorthin war steinig. Als Siebenjähriger lebte Özdek als Ziegenhirte in Anatolien.

Wien. Ismet Özdek legt ein Blatt Papier auf den Tisch: „Sehen Sie, das wird schon geschrieben: Dass der Opernball jetzt zum Türkenball wird“, sagt der 33-Jährige. „Es ist unglaublich.“ Seit gestern, Dienstag, ist offiziell bekannt, dass der 33-jährige Österreicher türkischer Abstammung die Eröffnungschoreografie des Opernballs 2012 gestalten wird. Das gefällt einigen nicht, wie sich in Postings im Internet ablesen lässt.

Dabei hat der 33-jährige Ismet Özdek wohl eine der spannendsten Biografien aller Besucher des Opernballs: Verbrachte er doch die ersten sieben Jahre seines Lebens noch als Ziegenhirte in einem kleinen Dorf in Anatolien. „Ich habe dort in einer Hütte ohne Strom gelebt. Zu Essen gab es nur, was die Ziegen hergaben“, erzählt er. Erst mit sieben kommt er in die Schule, das Geld dafür muss er sich neben dem Unterricht selbst verdienen. Özdek arbeitet als Schuhputzer und Elektriker am Bau. „Wir sind neben der Straße gestanden und haben gewartet, dass die Leute uns zum Arbeiten mitnehmen.“

1990 zieht er mit der Mutter und den drei Geschwistern (heute sind es vier) nach Österreich. Der Vater ist schon zuvor in die Alpenrepublik ausgewandert.

Kein Deutsch, schlechter Tänzer

„Ich war ein typisches Migrantenkind“, sagt Özdek heute. Eines, das kaum Deutsch konnte und sich ständig auf der Straße aufhielt. Der Wendepunkt kommt, als er 15 Jahre alt ist – in Person eines Nachbarn. Der schickt ihn in die Tanzschule eines Freundes und zahlt den Unterricht: „Also bin ich dorthin gegangen. Nicht, um das Tanzen zu lernen, sondern um Deutsch zu üben.“

Rückblickend, sagt Özdek, hätte es immer solche Menschen in seinem Leben gegeben. Jemand hätte ihm die Richtung gewiesen, und er habe es ausprobiert. Gegen jeden Widerstand. Denn wer glaubt, dass die Geschichte des Migrantenkindes Ismet Özdek schon mit dem Tanzunterricht zum Happy End kommen wird, der irrt. „Ich war kein guter Tänzer“, sagt er. Schlaksig und ungelenk sei er gewesen. Weswegen er immer mit den weniger hübschen Mädchen tanzen musste. „Aber so konnte ich mich auf die Schritte konzentrieren.“

Und das will er, denn das Tanzen eröffnet dem schüchternen Teenager neue Perspektiven. „Du holst Gefühle aus dir heraus, die du sonst nicht zeigen kannst“, erklärt er. Ab dann geht es aufwärts. Özdek beschließt, die Tanzlehrerausbildung zu machen, eröffnet 1999 selbst den Opernball und gründet 2007 die Tanzschule „Isi-Dance“ in Bruck an der Leitha. In einem grauen Plattenbau mitten im Ortszentrum. In der Schule hängen Tanzfilmplakate zur Dekoration. Jährlich unterrichtet er hier 120Schüler. Den klassischen Tänzen, insbesondere dem Walzer, fühlt er sich besonders verbunden, weswegen er sich auch für die Eröffnungschoreografie des Opernballs beworben hat. Denn: „Ich sehe es als meine Pflicht, die österreichischen Traditionen zu fördern.“ Sie hätten ihm ja eine neue Lebensaufgabe gegeben.

„Sonst wäre ich noch immer wie jeder andere Türke im Land“, erklärt Özdek, der fließend Deutsch mit leichtem Akzent spricht. Zur Choreografie selbst wolle er nichts sagen. Nur so viel: „Es wird wie ein lebendes Gemälde sein.“ Und nervös sei er schon. In seiner Tanzschule in Bruck an der Leitha ist man stolz auf den bekannten Tanzlehrer. Der „Isi“, wie ihn alle nennen, „hat sich das wirklich verdient“, sagt eine Kundin nach dem Tanzunterricht. Und ein Mädchen fügt hinzu: „Außerdem schaut er, dass auch schlechtere Paare die Schritte lernen.“

Auf seine ungewöhnliche Lebensgeschichte sind auch schon andere aufmerksam geworden. Seit vergangenem Jahr ist Özdek Integrationsbotschafter von Staatssekretär Sebastian Kurz. Einen Vorteil für seine Opernball-Bewerbung will er darin nicht sehen. „Ich bringe ja eher Sebastian Kurz einen Vorteil“, sagt er selbstbewusst. Özdek ist mit einer Polizistin verheiratet. Sie war es auch, die die Kommentare im Internet entdeckt hat. Sie sei noch schockierter als er gewesen. „Ich bin ja damit aufgewachsen“, fügt er hinzu, obwohl ihm Enttäuschung anzusehen ist. Aber: „Wer sich aufregt, der soll das Gleiche wie ich für die österreichische Tradition leisten.“

Auf einen Blick

Aufsteiger. Ismet Özdek, Inhaber der Tanzschule „Isi-Dance“ in Bruck an der Leitha, wird heuer die Eröffnungschoreografie des Wiener Opernballs gestalten. Der 33-Jährige beeindruckt mit seiner Lebensgeschichte, lebte er doch als Ziegenhirte in Anatolien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2012)

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