Werner Matt: "Es gibt keinen Luxus mehr"

Werner Matt gibt keinen
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Er kochte, als es noch Galabuffets, viele Lehrlinge und hohe Kochhauben gab. Ganz verrückt wird Werner Matt heute, wenn er einen kalten Fuzelteller mit Punkten bekommt.

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Wer sich mit diesem Mann trifft, sollte viel Zeit mitbringen. Werner Matt, den man gern Kochdoyen oder Begründer der neuen österreichischen Küche nennt, erzählt gern und ist rechtschaffen enttäuscht, wenn man nicht seinen gesamten Lebenslauf hören will. Dennoch nimmt er in seinem Erzählfluss immer wieder Rücksicht auf die Interviewer und erkundigt sich fürsorglich, ob er eh nicht zu viel abschweife? Im Gegenteil, Herr Matt, abschweifen ist immer gut.

Sie kennen die Wutbürger. Ältere verdiente Herrschaften, die sich über die Welt – durchaus zu Recht – erregen. Wir haben Ihnen die Rolle des Wutkochs zugedacht.

Ich soll mich aufregen oder was?

Ja, über die Küche. Über die jungen Köche. Ein Wutkoch eben.

Nein, ich bin in Pension, ich hab meine Sache gemacht. Ich hab sehr viele Leute ausgebildet, das können Sie mir glauben, ich weiß nicht, ob Sie früher einmal im Hilton waren? Ich hab die größte Brigade in Europa gehabt . . .

Es regt Sie nichts auf, was heute in der Gastronomie passiert, in der Kulinarik?

Schauen Sie sich an, was heute alles in Wien gebaut wird, was da alles los ist. Das Hilton wurde umgebaut, das Luxusrestaurant gibt es nicht mehr, wir haben damals dort fünf verschiedene Restaurants gehabt . . .

Also doch Wut.

Wehmut, sagen wir so. Das ist was anderes. Wir haben fünf Restaurants gehabt, 75 Köche, 16 Lehrlinge, das gibt es alles gar nicht mehr. Ich war der Herrscher, ich war der General da drin. Das war das größte Hotel in Europa, das größte Hilton sowieso, aber das größte Hotel in Europa wahrscheinlich auch. 620 Zimmer, 540 Angestellte. Da hat man sich geleistet, ein Luxusrestaurant zu bauen, um Werbung zu haben, um die Zimmer zu füllen.

Also eine Marketingmaßnahme. Generell hat die Hotelküche in Wien keinen besonders guten Ruf. Schon die Vorstellung, zu einem Feiertag in einem Hotel essen zu gehen, hat etwas Altmodisches. Ihre Schuld?

Die Leute trauen sich nicht in die Restaurants hinein.

Aber warum ist das in anderen Städten anders?

Wo?

In Paris, London.

Ich weiß es nicht.

Wie war die Zeit in Wien damals denn kulinarisch? Wir wissen, dass es vielleicht fünf, sechs Restaurants gab, das war’s – vom Ofenloch bis zum Kupferdachl. Ein paar Wirtshäuser gab es, wie die Drei Hacken. Und ein, zwei Luxusrestaurants, wie Sie sie geleitet haben: Dort gab es die große französische Klassik.

Sie wissen ohnehin Bescheid. Als ich nach Wien gekommen bin, 1975, haben die brav gekocht, die Beisln waren in, es hat keine großen internationalen Hotels gegeben, außer das Intercont.

Die Beisln waren schon in?

Sicher, keiner hat sich ins Imperial getraut, keiner ins Bristol.

Wo ist man denn damals hingegangen? Zum Amon?

Zu Nicky‘s Kuchlmasterei, zum Marchfelderhof da draußen.

Um Gottes willen. Und was hat man dann dort gegessen? Chateaubriand?

Ja, Chateaubriand, Schnecken. Trüffel.

Also wie es heute russische Oligarchen schätzen.

Man muss immer schauen, was die Gäste wollen. Ich hab damals auch manche schöne Sache für die Journalisten auf der Karte gehabt. Aber wenn es nicht gegangen ist, hab ich es wieder heruntergenommen.

Was haben Sie damals für die Journalisten auf der Karte gehabt?

Verrückte Sachen, die die vielleicht noch nie gegessen haben.

Kalbsbries japanisch oder wie? Was waren damals verrückte Sachen?

Wir haben die Nieren damals im Ganzen am Grill gebraten und dann noch flambiert. Und als der „Gault Millau“ damals nach Österreich gekommen ist, war ich überzeugt, die drei Hauben werd ich schon kriegen. Und dann hab ich nur eine gehabt! In Wien hat es überhaupt nur drei Einhaubenbetriebe gegeben. Die Drei Husaren, den Kuckuck – ein ganz kleines, ganz überraschend – und den Matt.

Wien ist heute eigentlich auch eine kulinarische Kleinstadt, wenn man sich New York ansieht oder London, dort findet man Lokale, die sich über hundert Jahre gut halten, und zwar nicht nur Wirtshäuser.

In Wien sind alle weg.

In Wien gibt es an Überlebenden – und auch die wurden neu übernommen – nur mehr die Drei Hacken, das Kupferdachl, das Ofenloch, . . .

Ja, aber die kochen nicht so wie damals.

Eben, aber das ist doch traurig.

Es gibt keinen Luxus mehr. Außer das Coburg.

Und das Steirereck.

Ja, das Steirereck. Die haben vor meiner Zeit angefangen, aber da haben sie nicht so gekocht. Das war noch ein Wirtshaus. Als der „Gault Millau“ gekommen ist, haben sie sie vernichtet. Bei der ersten Ausgabe neun Punkte. Die haben mich immer besucht. Der Kellner, der Reitbauer und der Österreicher sind meistens zu mir essen gekommen. Wir haben 365 Tage offen gehabt, mittags/abends, mittags/abends, mittags/abends. Wenn ich mir einmal erlaubt hab, am Sonntag eventuell nicht da zu sein – die waren sicher da. Die haben nicht angerufen, die sind einfach gekommen.

Aber man hat schon reservieren müssen?

Ja, oder sie haben angerufen, aber unter einem anderen Namen. Und dann sind sie drinnen gesessen und haben geschaut, was der Matt kocht.

Und nachgekocht.

Und nachgekocht.

Aber noch einmal zurück: Das ist doch komisch, dass sich in Wien kein Luxusrestaurant dreißig Jahre halten kann.

Ja, das ist ein Wahnsinn. Ein Wahnsinn.

Wer ist für Sie der wichtigste Koch für das Land, für die Küche?

Alle, die da drei oder vier Hauben haben.

Von der Prägung der Küche her?

Der alte Heinz Reitbauer und Helmut Österreicher, das waren die zwei Motoren. Reitbauer hat immer angetrieben, und Österreicher ist galoppiert. Der hat meines Wissens nur im Sacher gelernt, war nie im Ausland, ein unglaublicher Mann.

Und danach?

Schon auch Reinhard Gerer.

Verstehen Sie eigentlich, was Christian Petz auf dem Badeschiff macht? Ist das nicht Kern des Problems, dass jemand wie Christian Petz, der alle Auszeichnungen gehabt hat, sagt: „Ich mach lieber ein Beisl, stehe dort im T-Shirt und koche, was mir Spaß macht“?

Ich verstehe Christian Petz. Und ich finde es ganz toll, was er gemacht hat, und dass er sich traut. Er hat mir gesagt, er wollte von keinen Hauben etwas wissen, er war ganz überrascht, als er sie bekam.

Welche Entwicklungen in der Küche verstehen Sie nicht mehr?

Wenn zu viel gefuzelt wird. Wenn zu viel verschiedene Sachen kombiniert werden, drei Tellerchen, Fisch und Fleisch zusammen. Und wenn sie so fuzeln mit Punkten, und man kriegt einen kalten Teller, da werd ich ganz verrückt.

Und was halten Sie von der neuen skandinavischen Küche: dass man nur das isst, was vom Baum fällt, den man gerade umarmt hat?

Die in Dänemark, die sind ständig in der Zeitung, oder? Na, mir gefällt das nicht, wenn die diese blauen Schürzen anhaben. Wie in Südtirol die Bauern. Oder die schwarzen Jacken! Die schauen ja aus wie Kaminkehrer.

Werner Matt, gebürtiger Tiroler, wurde 1975 nach Stationen wie Italien, Frankreich, der Schweiz oder Großbritannien als Küchendirektor des Hilton nach Wien geholt, als dieses mit 620 Zimmern, fünf Restaurants und 75 Köchen eröffnete. Die dortige Rôtisserie Prinz Eugen wurde als erstes Restaurant in Österreich mit einem „Michelin“-Stern ausgezeichnet. 1979 wurde im Wiener Hilton unter Matts Führung die „Neue Wiener Küche“ präsentiert. Werner Matt bildete zahlreiche heutige Spitzenköche aus.

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