„Der Partner ist unsicher geworden“ Schweiz und EU in einer Vertrauenskrise

Symbolbild
(c) AP (BERNAT ARMANGUE)
  • Drucken

Die Europäische Union fordert von der Regierung Bern, in einigen Bereichen automatisch geltendes EU-Recht zu übernehmen. Die Schweiz will allerdings weiterhin an den bisherigen bilateralen Abkommen festhalten.

Brüssel/Bern. Eine schwierige Beziehung war es ja schon immer – der eine Partner fordert mehr Zugeständnisse, der andere ist zur Aufgabe von Souveränität nur ungern bereit. In den letzten Monaten aber hat sich in die (Zweck-)Gemeinschaft Schweiz-EU – bedingt durch die tiefe Schuldenkrise – auch noch eine Vertrauenskrise eingeschlichen. Die Zeiten, in denen die Staatengemeinschaft für die Eidgenossenschaft ein zuverlässig finanzkräftiger Handelspartner war, sind vorbei. Die Ausgangslage für die Beziehungspflege mit der EU sei „unklarer denn je“, sagen Schweizer Diplomaten hinter vorgehaltener Hand. „Der Partner ist unsicher geworden.“ Dabei wäre eine stabile EU für das Nachbarland essenziell, gerade weil die wirtschaftlichen Beziehungen ausgesprochen vielfältig sind: Ein Drittel aller Arbeitsplätze in der Schweiz ist abhängig vom Geschäftsverkehr mit der Union. Schweizer Unternehmen beschäftigen 1,2 Millionen Angestellte in der EU, und eine Million Unionsbürger leben und arbeiten in der Schweiz. Der gesamte wirtschaftliche Austausch beträgt stolze 700 Millionen Euro pro Tag.

 

„Institutionelle Fragen“ ungeklärt

Doch auch abgesehen von den Fragezeichen, die hinter den Entwicklungen in der Schuldenkrise stehen, sind die Zukunftsvorstellungen dieser Beziehung auf beiden Seiten höchst unterschiedlich. Die Schweizer Regierung will zwar den bilateralen Weg gegenüber der EU stärken. Das Verhältnis soll trotz aller Schwierigkeiten gepflegt und ausgebaut werden, versichern Diplomaten. Bern unterhält bereits heute 20 wichtige Abkommen mit der EU. Die Legislaturplanung 2011–2015 sieht weitere Abkommen etwa in den Bereichen Landwirtschaft und Wettbewerb vor. Das bestehende Personen-Freizügigkeitsabkommen, auf das die Schweiz wegen des hohen Bedarfs an qualifizierten Arbeitskräften angewiesen ist, soll auf Kroatien erweitert werden, das mit Juli 2013 der EU beitritt.

Inwieweit diese Pläne tatsächlich verwirklichbar sind, wird sich aber erst weisen. Die Schweiz beharrt nämlich seit jeher darauf, als souveräner Staat flexibel zu bleiben. So kommt es immer wieder zu Meinungsunterschieden mit der EU, die den bilateralen Weg mit Verträgen zur Handelsliberalisierung, Personenfreizügigkeit und Sicherheitskooperation so nicht länger akzeptieren will. Weil die Schweiz an wichtigen Teilen des Binnenmarkts teilnimmt, solle sie in diesen Sektoren auch automatisch EU-Recht übernehmen, fordert Brüssel. Hier aber stocken die Verhandlungen seit Jahren.

Zwar hat Bern mit dem automatischen Nachvollzug von Rechtsänderungen offiziell kein Problem. Allerdings übernimmt im gemeinsamen Binnenmarkt der EU-Mitgliedstaaten die Kommission die Überwachung der Regeln, in Streitfällen ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig. Dieser akzeptiert keine weitere Instanz über sich. Die Schweiz sieht deshalb ihre Souveränität als unabhängiger Staat verletzt. Das Problem sei mehr ein politisches als ein rechtliches, kontert Brüssel. Faktisch würde sich das Bundesgericht in Lausanne der Rechtsprechung des EuGH fast immer anpassen. Zudem sei es schlicht nicht möglich, dass ein Staat im gemeinsamen Binnenmarkt sich quasi selbst überwacht und prüft, ob er die Regeln einhält. „Dies käme einer Renationalisierung des Binnenmarkts gleich“, sagen Diplomaten in Brüssel. „Dann könnten sich ja alle Staaten selbst überprüfen.“ Die EU will nun bis auf Weiteres keine neuen Abkommen mit der Schweiz abschließen, solange diese Frage nicht geklärt ist.

 

Beitritt illusorisch

Völlig illusorisch scheint vor diesen Problemfeldern ein EU-Beitritt der Eidgenossen. Die Zahlen sprechen für sich: Würde es heute zu einer Abstimmung kommen, wären nur etwa 30Prozent dafür. Selbst in der französischen Schweiz, wo die Zustimmung zum europäischen Projekt grundsätzlich stets höher war als in der Deutschschweiz, sinkt die EU-Begeisterung konstant. Dazu hat auch die Schuldenkrise einen großen Beitrag geleistet, die die Verunsicherung in der Bevölkerung wesentlich verstärkt hat.

Auf einen Blick

Die Beziehung Schweiz-EU steckt in einer Krise: Zum einen mangelt es aufseiten der Schweiz seit Ausbruch der Schuldenkrise an Vertrauen zu dem so wichtigen Wirtschaftspartner. Zum anderen sieht die EU den Weg der bilateralen Abkommen mit der Schweiz am Ende und fordert ein umfassendes Abkommen, das den automatischen Nachvollzug von EU-Rechtsänderungen vorsieht. Hier stocken die Verhandlungen, auch ein Treffen von Präsidentin Eveline Widmer-Schlumpf und Kommissionspräsident José Manuel Barroso brachte kein
Weiterkommen. [Illustration: „Die Presse“: Lilly Panholzer]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2012)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.