Das Erfolgsmodell „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ ist für Schweizer Banken bald tot. Den „Hinterbliebenen“ täten mehr Vernunft und weniger Kraftmeierei gut.
Man muss akzeptieren, dass das Geschäftsmodell, das auf dem Verstecken unversteuerter Gelder beruht, am Ende ist.“ Schön gesagt, noch dazu von einem Schweizer über die Schweiz. Und nicht von irgendeinem. Die „Neue Zürcher“ zitierte mit diesen Worten kürzlich den Chef der schweizerischen Bankenaufsicht Finma, Patrick Raaflaub.
Es ist also jetzt sozusagen amtlich bestätigt, dass eines der Erfolgsmodelle der schweizerischen (wie übrigens auch der liechtensteinischen) Finanzwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten die globale Beihilfe zur Steuerhinterziehung war. Und es ist bei den dortigen Finanzeliten offenbar angekommen, dass sich das nicht aufrechterhalten lässt.
Bei der Bevölkerung leider noch nicht. Die sonst so besonnenen Schweizer geraten nämlich schnell in Rage, wenn sie auf dubiose Gelder in ihren Banken angesprochen werden. Das eröffnet Populisten ein weites Feld für demagogische Feldzüge gegen Ausländer, die die stolze Eidgenossenschaft und deren Bankgeheimnis in die Knie zwingen wollen. Und erschwert so auf politischer Ebene vernünftige Lösungen.
Bisher wurde die Auseinandersetzung – nicht nur von den Schweizern – aber ohnehin auf Kindergartenniveau geführt: Wenn ein deutscher Finanzminister die „Kavallerie“ ausrücken lassen will, die Schweiz einen Haftbefehl gegen deutsche Steuerfahnder erlässt und die Deutschen darauf mit einer Diskussion darüber kontern, ob man ebendiesen Steuerfahndern nicht das Bundesverdienstkreuz umhängen sollte, dann fehlt zu ganz großem Kino nur noch eines: ein deutscher Haftbefehl gegen die Chefs von Credit Suisse und UBS wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe.
Bei den Summen, um die es geht, ist Nervosität freilich verständlich: Schweizer Banken verwalten knapp 3000 Milliarden Franken für Ausländer. Wie viel davon im Heimatland an der Steuer vorbeigeschleust wurde, interessiert offiziell nicht. Die Banken der kleinen Schweiz sind mit einem Weltmarktanteil von 27Prozent die zweitgrößten Vermögensverwalter (hinter den Briten). Die Finanzwirtschaft trägt 15 Prozent zum eidgenössischen Bruttoinlandsprodukt bei und beschäftigt 200.000 Menschen. Da kann es schon schwerfallen, Geld, das hereinkommt, genauer anzusehen.
Auf der anderen Seite fehlen in den Staatskassen etwa Deutschlands und Österreichs Milliarden, weil eidgenössische Finanzinstitute und Behörden auf dem Standpunkt stehen, dass das Geld ihrer Kunden die Finanz in deren Heimatländern nichts angeht. Und Griechenland hätte wahrscheinlich „nur“ noch ein Struktur-, aber kein Finanzproblem mehr, wenn es seine Steuerflüchtlinge „einfangen“ könnte.
Die Debatte wird natürlich auch ein wenig verlogen geführt: Dass die USA, die das Schweizer Bankgeheimnis bisher am erfolgreichsten geknackt haben, mit Delaware selbst eine der größten Steueroasen der Welt betreiben und die Briten, die in Bern ebenfalls gehörig Druck machen, im Einflussbereich ihrer Majestät selbst jede Menge Gelegenheit für ebenso diskrete wie windige Finanzgeschäfte (etwa auf den Kanalinseln) bieten, relativiert die Schweizer Position ein wenig.
Es ändert aber nichts daran, dass das Geschäftsmodell „Steuerhinterziehung“ in Mitteleuropa tot ist. Was jetzt noch fehlt, ist ein vernünftiger Kompromiss etwa bei der Einführung von Abgeltungssteuern, die zu Einnahmen für betroffene Länder führen, ohne dass dabei das individuelle Bankgeheimnis fällt.
Derzeit herrscht ja das Recht des Stärkeren: Wer, wie die USA, mächtig Druck machen kann, hat keine Probleme, an die Daten seiner in der Schweiz bunkernden schwarzen Steuerschäflein zu kommen. Kleinstaaten wie Österreich haben dagegen wesentlich schlechtere Karten. Und da fragt man sich schon, wozu wir eigentlich die EU haben: Wieso werden Steuerabkommen von solcher Reichweite individuell in bestem Kleinstaatlerstil ausgehandelt? Ein vernünftiges Abkommen auf EU-Ebene würde jedenfalls so kindische Aktionen, wie sie derzeit zwischen Bern und Berlin laufen, verhindern. Und eigentlich sollte es ja um die Sache gehen – nicht um populistische Kraftmeierei.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2012)