Werkbundsiedlung: Die Rache der Gartenzwerge

Rache Gartenzwerge Moderne
Rache Gartenzwerge Moderne(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Ein Moderne-Juwel wird endlich poliert: Die Wiener Werkbundsiedlung erwacht aus ihrem Schrebergartenschlaf. Und das Bundesdenkmalamt bemüht sich um ein Image abseits der Servicierung von Schlossherren.

Eat the rich“ hat jemand auf eine Umfassungsmauer der Wiener Werkbundsiedlung gesprayt, eine Art Avantgardist, er ist seiner Zeit um Jahre voraus. Denn diese Schrebergartensiedlung der klassischen Architekturmoderne ist (noch) alles andere als ein Reichenghetto. Eher umgekehrt, eine Sozialbau-Enklave am Rande des Nobelbezirks Hietzing. Hier übt der Gartenzwerg späte Rache an strengen Meistern des guten Geschmacks wie Adolf Loos, Josef Hoffmann oder Josef Frank. Wohl fühlt man sich nicht, wenn man durch die Gässchen wandert und das touristische Auge sich schämt, wenn es in die Privatheit anderer vorstößt. Aber es bleibt ihm nicht viel anderes über, denn anderes Futter, irgendeine Information zum Beispiel, gibt es nicht.

Wachhunde und Rosenhecken. Die einzige Infotafel ist ein Plan der 1930 bis 1932 gebauten Musterhaussiedlung am Roten Berg. Und den finden nur Eingeweihte, nämlich am genau entgegengesetzten Einstieg von dort, wo einen der Bus ausspeit (ohne „Werkbundsiedlung“ angekündigt zu haben). Da steht man zwischen Wachhunden und Rosenhecken und versucht, sich vorzustellen, was geschehen ist, seit sich hier mitten in der Weltwirtschaftskrise sowohl renommierte als auch jüngste Architekten überlegt haben, was „Glücksmaximierung“ (Werkbund-Mastermind Otto Neurath) im Wohnbau heißen kann. 100.000 Neugierige sind 1932 in acht Wochen Ausstellungszeit durch die 70 fertig eingerichteten Paradebeispiele für neues Wohnen geschlendert. Ein Areal, wie heute die „Blaue Lagune“?

Nein, sagt Andreas Nierhaus, der mit Eva-Maria Orosz die erste Ausstellung zur Werkbundsiedlung konzipiert hat, die kommenden Donnerstag im Wien-Museum eröffnet (siehe nebenstehenden Artikel). Denn die Architekten des „Werkbunds“, die sich für hochwertige Architektur einsetzten, hatten eine gemeinsame Vision. Was man der anonymen heutigen Serienproduktion nicht vorwerfen kann. Trotzdem ist das Bewusstsein für die klassische Architekturmoderne sowie die Nachkriegsmoderne in Österreich erst in den letzten Jahren gereift. Lange sah es etwa so aus, dass die international nur mit der Stuttgarter Weißenhofsiedlung vergleichbare Wiener Werkbundsiedlung dem Verfall überlassen würde. Nach einer notdürftigen Sanierung in den 1980er-Jahren kamen die Häuser immer mehr herunter, ihr Zustand erschreckt heute noch. Obwohl sich die Stadt Wien 2011 überraschend doch für eine Generalsanierung entschied und sieben von zehn nötigen Millionen dafür lockermachte.

Virtuelles Museum und App. 2016 soll das Projekt abgeschlossen sein und in Zukunft mehr darauf geachtet werden, dass neue Mieter auch eine gewisse Liebe zu den für heutige Verhältnisse durchaus schwierigen Wohnverhältnisse aufbringen. Drei Häuser von Josef Hoffmann und Gerrit Rietveld sind bereits fertig, am Josef-Frank-Haus wird gerade gewerkt. Hier soll in der kleinen Garage wieder der Inforaum eingerichtet werden. Was zwar nicht dem vom Moderne-Mahner Norbert Mayr („docomomo“) geforderten Museum entspricht. Dafür eröffnet die Stadt am 20.September ein virtuelles Werkbund-Museum samt App. Schandfleck wird man die Werkbundsiedlung jedenfalls nicht mehr schimpfen können. Sie wird wohl auch von der Liste gefährdeter Baudenkmäler des „World Monument Fund“ verschwinden, wo sie als einziges Beispiel Österreichs gelistet war.

Aber kein Aufatmen, es gibt noch Dutzende andere gefährdete Bauten, etwa die Villa des in Österreich viel zu wenig bekannten Architekten Josef Frank, ebenfalls in Hietzing, die in alarmierendem Zustand ist. Langweilig wird dem Team von Barbara Neubauer, Präsidentin des Bundesdenkmalamts, sicher nicht. Vor allem, seit die (interne) zeitliche Grenze gefallen ist, die Gebäude frühestens 50Jahre nach Entstehung erst schützenswert werden ließ. Dafür habe man 1949 bereits das Loos-Haus am Michaelerplatz unter Schutz gestellt – „das war die Initialzündung. Darauf sind wir immer noch stolz“, sagt Neubauer. Zuletzt bemerkte sie „einen verdienten Hype um Objekte der Nachkriegszeit“, was sie auch der jahrelangen Aufklärungsarbeit des BDAs zugutehält. „Anfang der 1990er-Jahre wollte damit niemand etwas zu tun haben.“ Heute pilgert man zu Bauten der 1960er- und 1970er-Jahre, zum ehemaligen Hoffmann-La-Roche-Gebäude etwa, das 1962 von Georg Lippert gebaut wurde und heute denkmalgeschützt ist. Hier hat mit dem „Daniel“ eines der schicksten Hotels der Stadt eröffnet. Andere Lippert-Bauten, wie die spacige AUA-Zentrale am Wienerberg, verfallen. Davon hat Neubauer erst vorige Woche erfahren, sagt sie, auch hier wird nach den üblichen BDA-Kriterien ein Schutz geprüft werden: Es geht um den Stellenwert im Werk eines Architekten sowie um den in der Architekturgeschichte – „was sich nicht mit der Architekturkritik decken muss“, wie Neubauer betont. „Wir versuchen, Eckzähne zu erwischen, aber werden sicher das eine oder andere verlieren.“

Plenarsaal unter Schutz? Größtes Problem bei der Nachkriegsarchitektur ist die Erhaltung: „Die Bauten sind substanziell nicht so gut wie die vor dem Krieg“, erklärt die BDA-Chefin. „Man muss zur Kenntnis nehmen, dass gewisse Bauten nicht zu halten sind.“ Etwa die seit den 1950ern funktionierende Inneneinrichtung des Plenarsaals im Parlament, für deren Erhalt gerade Norbert Mayrs „docomomo“ kämpft. „Den Plenarsaal u.a. behindertengerecht zu machen ist nun einmal ein übergeordnetes öffentliches Interesse“, so Neubauer, der Nachkriegsarchitektur ein ausgesprochenes Anliegen ist.

Denkmalfreunde verjüngen sich. Das Thema 1960er- und 1970er-Jahre hat auch einen Mehrwert für das Image des BDAs – man spricht damit eine jüngere Generation an. Schließlich möchte man weg vom Bild, allein eine Servicestelle für Schlossherren zu sein. Dazu ein paar Zahlen: Aus der Zeit zwischen 1900 und 1950 stehen bereits 6500 bis 7000 Objekte unter Denkmalschutz, von 1950 bis 1980 sind es 750 Objekte. Insgesamt ist das ein Viertel aller in Österreich unter Schutz stehenden Objekte.

Dass diese Leistung vermehrt wahrgenommen wird, dafür wird sich in Zukunft die „Österreichische Gesellschaft der Denkmalfreunde“ einsetzen, die sich als Freundesverein des BDA versteht. Gerade wurde hier ein Generationenwechsel vollzogen und mit Dorotheum-Chef Martin Böhm ein Präsident gewonnen, dem die heimische Moderne ebenfalls ein Anliegen ist (denkt man etwa an die von ihm eingeführte Auktion für „Austrian Design“, die vermutlich alle zwei Jahre zustande kommen wird). Zuletzt konnte das BDA auf diesem Gebiet einige Erfolge verbuchen: Neben dem „Daniel“ und dem „21er Haus“ konnte mit Eröffnung des Korea-Kulturhauses das ehemalige Seerestaurant am Irissee, ein Pavillon von 1964, revitalisiert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2012)

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