Verspätet kann der Europäische Stabilitätsmechanismus am 8. Oktober in Kraft treten. Das Volumen beträgt 700 Milliarden Euro, kann aber mit einstimmigem Beschluss aufgestockt werden.
Wien. Jetzt ist es fix: Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) kann am 8. Oktober – mit etwas mehr als drei Monaten Verspätung – in Kraft treten. Der völkerrechtliche Vertrag wurde in den vergangenen Monaten von allen 16 Euroländern bis auf Deutschland ratifiziert. Nach dem positiven Entscheid des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts wird nun auch Bundespräsident Joachim Gauck seine Unterschrift unter das Vertragswerk setzen.
Ursprünglich sollte der ESM bereits im Juli in Kraft treten. Weil die Voraussetzung dafür aber die Bereitstellung von 90 Prozent aller Anteile ist und Deutschland allein 27 Prozent der Gesamtsumme beisteuert, verzögerte sich der Termin. Mit einem Volumen von 700 Milliarden Euro soll die internationale Finanzinstitution künftig wie der temporäre Vorgänger, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), in Schulden geratenen Euroländern durch die Vergabe von Krediten unter die Arme greifen können. Auch darf der ESM strauchelnde Banken rekapitalisieren und kann notfalls Staatsanleihen überschuldeter Staaten aufkaufen, die sich auf dem Kapitalmarkt nicht selbst refinanzieren können.
Der Gesamtbetrag setzt sich aus Bareinzahlungen und Haftungen zusammen, wobei insgesamt rund 80 Milliarden Euro von den Mitgliedsländern direkt eingezahlt werden. Der österreichische Anteil beläuft sich dabei auf 2,2 Milliarden Euro, für insgesamt 17,3 Milliarden haftet die Republik. In Deutschland betragen die Kreditzusagen 168 Milliarden Euro, die Bareinzahlungen betragen 22 Milliarden Euro.
Kontrolle durch das Parlament
Das eingezahlte Kapital kann der ESM selbst verwalten und gemäß den Haftungen auch durch Kredite aufbessern. Eine Erhöhung des Stammkapitals ist grundsätzlich möglich; kann aber nur durch ein einstimmiges Votum im Gouverneursrat zustande kommen, dem die Finanzminister aller Mitgliedstaaten angehören. Jedes Euroland hat also bei wichtigen Beschlüssen – das gilt etwa auch für die Gewährung von Hilfen – ein Vetorecht. Lediglich bei eiligen Beschlüssen von Hilfsmaßnahmen genügt die Zustimmung von 85 Prozent der Teilnehmerländer.
Zwar unterliegt das Entscheidungsgremium des ESM grundsätzlich keiner demokratischen Kontrolle durch das europäische Parlament. Österreichs Mitglied im Gouverneursrat darf wichtigen Vertragsänderungen aber nur mit einer vorherigen Einwilligung des heimischen Parlaments zustimmen. Dies war eine Bedingung für die Zustimmung der Grünen zum dauerhaften Rettungsschirm Anfang Juli diesen Jahres.
Kritik am ESM entzündet sich dennoch an verschiedenen Punkten: So beanstanden Gegner die völlige strafrechtliche Immunität der ESM-Funktionäre und die Tatsache, dass der dauerhafte Rettungsschirm faktisch einen Schritt Richtung Transferunion und Schuldenvergemeinschaftung bedeutet. Ein Souveränitätsverlust für die Nationalstaaten ergibt sich durch die Mitgliedschaft allein allerdings nicht: Denn erst, wenn ein Land selbst unter den Rettungsschirm schlüpft, muss es Eingriffe in seine Haushaltspolitik fürchten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2012)