Irland: Das Land des geschorenen Tigers

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In Irland wächst die Wirtschaft wieder, aber die Schuldenlast bleibt erdrückend. Auf der krisengeschüttelten Grünen Insel kehrt allmählich wieder so etwas wie Zuversicht ein.

Der Zustand der irischen Wirtschaft lässt sich in einem alten Witz zusammenfassen: „Gallagher schlägt die Morgenzeitung auf und liest schockiert, dass er gestorben sei. Er ruft seinen besten Freund, Finney, an. „Hast du die Zeitung gesehen?“, fragt er. „Sie schreiben, ich sei gestorben!“ „Habe ich gesehen“, antwortet Finney ungerührt. „Von wo rufst du an?“

Ähnlich präsentiert sich heute das Land, nachdem es vor fünf Jahren in die schwerste Krise seit der Unabhängigkeit im Jahr 1922 geschlittert ist. Die irische Wirtschaftsleistung ging zwischen dem vierten Quartal 2007 und dem dritten Quartal 2010 um 21 Prozent zurück. Die Rettung der im Zuge eines völlig aus dem Ruder gelaufenen Immobilienbooms zu „Zombiebanken“gewordenen Geldinstitute kostete den Staat 60Milliarden Euro. Ende 2010 musste Irland ein 67,5-Milliarden-Rettungspaket von EU und IMF mit harschen Sparauflagen akzeptieren.

Der einst so erfolgsverwöhnte und stolze „keltische Tiger“, der Wachstumsraten von fünf Prozent als normal zu betrachten pflegte, wehrte sich lange gegen die bitteren Pillen der internationalen Geldgeber.

Verkehrsminister Leo Varadkar erinnert sich: „Wir hatten keine andere Wahl. Uns ging einfach das Geld aus, die Regierung stand kurz davor, ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Die Märkte waren für uns geschlossen, und wir hatten niemanden mehr, der uns Geld zu borgen bereit war.“

Diese Tage hat Irland hinter sich gelassen. Seit 2011 wächst die Wirtschaft wieder, wenn auch bescheiden. Heuer und nächstes Jahr wird ein Wachstum von 1,8 bzw. 2,4 Prozent erwartet. Irland schneidet damit deutlich besser als die Eurozone ab, die sich in der Rezession befindet.


7,2 Prozent Budgetdefizit. In strikter Befolgung der Auflagen des internationalen Rettungsprogramms hat Irland große Fortschritte bei der Konsolidierung des Staatshaushalts gemacht. Das Budgetdefizit wird nach ESRI-Prognosen heuer auf 7,2 Prozent sinken. Bis 2015 soll es unter drei Prozent liegen. Hoch bleibt hingegen die Staatsverschuldung, die mit Ende 2013 mit 207 Milliarden Euro bei 123 Prozent des irischen Bruttonationalprodukts liegen wird. Allein die jährliche Zinszahlung dafür macht acht Milliarden Euro aus. Erfolge meldet Irland hingegen auf anderen Gebieten. Mit der EZB wurde im Februar eine Vereinbarung zur Bankenrettung getroffen, die es dem Land erlaubt, die Rückzahlung von 30Milliarden Euro bis ins Jahr 2053 zu erstrecken. Dies gestattete dem Land die Rückkehr an die internationalen Finanzmärkte mit der erfolgreichen Platzierung eines CoCo-Bonds über fünf Milliarden Euro. Im April stimmten die Eurozonen-Finanzminister einer Verlängerung der Rückzahlungen an den ESM bis 2020 zu. Im Zeichen wiederkehrender Zuversicht fielen im Mai die Spreads auf irische Bonds mit zehnjähriger Laufzeit auf 3,49Prozent, den niedrigsten Stand seit 2008.

„Irland is ba-a-a-ck!“, jubelt nicht nur die „Financial Times“. IMF-Chefin Christine Lagarde persönlich stattete dem Land im März einen Besuch ab, der zu einem Wettstreit in Schulterklopfen und Selbstgratulation wurde. „Die irische Wirtschaft ist repariert“, merkte die strenge Chefin des Weltwährungsfonds an. Etwas vorsichtiger äußerte sich Ministerpräsident Enda Kenny: „Unsere Hauptaufgabe ist es nun, das Vertrauen in unsere Wirtschaft wiederherzustellen.“

Doch mögen sich die Zeichen gebessert haben, ist die irische Wirtschaft noch weit von einer vollen Genesung entfernt. Die Arbeitslosigkeit bleibt mit 14,2 Prozent ein Quell sozialer und budgetärer Belastung. Was besonders schwer wiegt: Nach Schätzungen des IMF würde sie ohne Auswanderung 20 Prozent betragen. Einmal mehr erlebt die Grüne Insel eine Emigrationswelle. Im Vorjahr allein wanderten 83.000 Iren aus, vorwiegend Junge und Hochqualifizierte. Keine Erholung zeigen die Hauspreise, die im März im Durchschnitt 51 Prozent unter dem Wert von 2008 lagen.

Ausgeblieben sind auch Erfolge beim Abbau der Privatschulden: Von den fast einer Million Hypotheken im Land sind 20 Prozent mit der Rückzahlung in Verzug, 17,5 Milliarden Euro sind ausständig. „Wir sind ein Volk vereinigt in Schulden“, schrieb der „Irish Independent“. Für Empörung sorgte eine Bankerin, die einem Schuldner in einer Live-Radiosendung mitteilte, er dürfe nur fünf Euro am Tag für Essen ausgeben. Bei einem Schuldenberg von über 200.000 Euro würde selbst Mahatma Gandhi das Rückzahlungsziel verfehlen, wie Anrufer vermerkten.

Die „grünen Triebe“ der Erholung bleiben zart, aber sie sind vorhanden. Das Irland, das nun aus der Rezession auftaucht, ist aber ein anderes Land als zuvor. Die alten Antriebskräfte der Wirtschaft, Banken und Bauwirtschaft, bleiben am Boden, Aufschwung kommt aus Branchen wie Chemie, IT und Energietechnik. Internetunternehmen wie Yahoo, Google oder McAffe schaffen – nicht zuletzt angelockt durch die niedrige Unternehmensbesteuerung von 12,5 Prozent – wieder neue (und gut bezahlte) Jobs in Irland.

Vom Triumphalismus der Boomjahre ist nicht viel übrig. Als die „Irish Times“ im März eine Umfrage nach „50 Gründen, warum wir Irland heute lieben“ durchführte, antwortete die Journalistin Arminta Wallace: „Da wir gebändigt wurden und heute wieder netter sind, seit wir die Grobschlächtigkeit des keltischen Tigers abgelegt haben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2013)

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