Suspendiert. Die neue Regierung hat die Beitrittsverhandlungen ausgesetzt. Sie will sie erst wieder aufnehmen, wenn sich die Bevölkerung in einem Referendum ausdrücklich dafür ausspricht. Damit steht fest, dass das Land noch viele Jahre außerhalb der EU bleibt.
Kopenhagen. 4743 Worte umfasst das Regierungsprogramm von Islands neuer konservativ-liberaler Koalition. Nur 50 davon, versteckt im allerletzten der 18 Kapitel, befassen sich mit der Europäischen Union: Die Beitrittsverhandlungen werden ausgesetzt, ausgewertet und nicht wieder aufgenommen, ehe dies in einer Volksabstimmung gebilligt wurde. Wann es zu einem solchen Referendum kommen könnte, steht nicht fest. „Jedenfalls nicht in dieser Legislaturperiode“, unterstreicht Agrarminister Sigurdur Ingi Johannsson, und die meisten Beobachter sind sich einig, dass für die neue Regierung aufgeschoben auch aufgehoben heißt.
Das also ist das Ende der EU-Ambitionen, die die Nordatlantikinsel auf der Schnellspur in Europas Mitte führen sollten. Vor vier Jahren, als das damalige rot-grüne Kabinett den Beitrittsantrag stellte, glaubte man in Reykjavik wie in Brüssel an Verhandlungen im Blitztempo: Einen Großteil des EU-Regelwerks erfüllten die Isländer als Mitglieder im Europäischen Wirtschaftsraum ohnedies schon, und in heiklen Fragen wie Fischfang und Landwirtschaft würde sich das von der Finanzkrise schwer gebeutelte Land wohl nicht auf die Hinterbeine stellen, glaubte die EU-Bürokratie.
Erster Kandidat, der abspringt
Stattdessen ist Island nun der erste Beitrittskandidat, der wieder abspringt, noch ehe die Verhandlungen zu Ende geführt wurden. Auch schon unter der alten Regierung hatte sich der Dialog hingezogen, weil die Links-Grünen die europäische Vorliebe ihres sozialdemokratischen Koalitionspartners nicht teilten und die Gespräche sabotierten, wo sie konnten. Dennoch sind 27 der 33 Kapitel geöffnet, 11 bereits abgeschlossen. Die Sozialdemokraten fordern, das Referendum über die Wiederaufnahme der Verhandlungen schon im kommenden Frühjahr abzuhalten, wenn die Isländer wegen der Kommunalwahlen ohnedies an die Urnen müssen. Außenminister Gunnar Bragi Sveinsson ließ sie abblitzen: „Solange ich im Amt bin, wird nicht wieder verhandelt.“
Nicht nur in Regierung und Parlament dominiert der Widerstand. Auch Staatspräsident Olafur Ragnar Grimsson ist als überzeugter EU-Gegner bekannt. Statt dem Euro nachzulaufen, der auf dem Höhepunkt der isländischen Krise vielen als Rettungsanker galt, solle man lieber mit Ländern zusammenarbeiten, die ohne Euro besser fuhren, sagte Grimsson bei der Parlamentseröffnung und verwies auf Nordamerika, Asien und die Skandinavier. Der EU, fuhr er fort, sei gar nicht daran gelegen, die Verhandlungen mit Island zu einem guten Ende zu bringen. In Brüssel fürchte man nämlich eine Wiederholung des „norwegischen Debakels“: dass das Volk in einem Referendum Nein zu dem Deal sagt, den ihm die Politiker offerieren, wie dies die Norweger 1972 und 1994 gleich zweimal taten.
Dabei vergessen Grimsson und die übrigen Beitrittsgegner gern, dass es nicht die EU war, die Island um einen Aufnahmeantrag bat, sondern die Isländer, die sich in ihrer Not an Brüssel wandten. Doch seit die Inselrepublik die ärgste Krise überwunden hat, ist die Attraktivität der Mitgliedschaft wieder geschwunden. „Sowohl in den beiden Regierungsparteien wie in der Mehrheit der Bevölkerung herrscht die Überzeugung vor, dass unsere Interessen am besten außerhalb der Union wahrgenommen werden können“, sagt Agrarminister Johannsson.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2013)