Belgrad: „Wir haben Beitrittsverhandlungen verdient“

Serbien/Kosovo. Zumindest in ihrem Wartesaal hat die kriselnde EU nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Ungeduldig wartet Belgrad auf den in Aussicht gestellten Lohn für die Kosovo-Abkommen. Von unserem Korrespondenten THOMAS ROSER

Belgrad. Der Dauergast im Wartesaal von Europas kriselndem Wohlstandsbündnis sieht die EU am Zug. Er hoffe, dass sein Land beim EU-Gipfel Ende Juni endlich einen Termin für die angestrebten Beitrittsverhandlungen erhalten werde, sagt Serbiens Vizepremier Alexander Vučić, Chef der größten Regierungspartei SNS: „Nicht weil wir diesen nötig, sondern weil wir ihn verdient haben.“ Fast 13 Jahre liegt der Sturz des serbischen Autokraten Slobodan Milošević zurück. Doch auf dem Weg in ein neues, europäisches Zeitalter sollte der kriegsgebeutelte Balkanstaat viel Zeit verlieren.

Eine offene Abrechnung mit dem Kriegsjahrzehnt der 1990er-Jahre blieb aus. Erst bremste die mangelnde Kooperation mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal die EU-Annäherung. Danach rangierte sich Belgrad mit seinem kompromisslosen Blockadekurs gegenüber der seit 2008 unabhängigen Ex-Provinz Kosovo selbst aufs europäische Abstellgleis. Das Bemühen um gutnachbarschaftliche Beziehungen zu den einstigen Kriegsgegnern hatte Brüssel zur Bedingung einer EU-Annäherung gemacht. Was den proeuropäischen Demokraten (DS) von Ex-Präsident Boris Tadić nicht gelang, ist nun ausgerechnet einer Koalition einstiger Milošević-Jünger geglückt. Der sozialistische Premier und frühere Milošević-Sprecher Ivica Dačić und der vom Ultranationalisten zum EU-Apostel mutierte Vušić haben mit einer Kehrtwende in der Kosovo-Politik für ihr Land das Tor zum Beitrittsmarathon weit aufgestoßen.

Vertragspapier ist geduldig

Auf Druck und Vermittlung der EU einigten sich die Regierungschefs Serbiens und des Kosovo im April nach langem Verhandlungspoker auf ein Abkommen zur Normalisierung des grenzüberschreitenden Alltags. Serbien lehnt eine Anerkennung des Kosovo zwar weiter ab, stimmte aber auf Druck der EU der Integration des bisher von Belgrad verwalteten Nordkosovo in die Strukturen des Staatenneulings zu.

Doch Vertragspapier erweist sich auf dem Balkan oft als sehr geduldig. Nicht nur der erbitterte Widerstand der Serben im Nordkosovo sorgte bei der Umsetzung des Vertragswerkes bald für Schwierigkeiten. Beide Seiten interpretierten das eher schwammig formulierte Abkommen gegensätzlich. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle mahnte darum zumindest den Beginn der Implementierung des Abkommens an: Den Worten müssten Taten folgen. Mit der Einigung auf einen „Umsetzungsplan“ mit klaren Daten und Fristen, den Austausch von Verbindungsoffizieren und der Schließung erster serbischer Polizeigebäude im Nordkosovo sind nach serbischer Lesart die Bedingungen für die Zuerkennung des Datums für Beitrittsverhandlungen erfüllt. „Weitere Verzögerungen seien dem heimischen Publikum kaum mehr zu vermitteln“, warnt Premier Dačić. „Wenn man uns Serben wegen der Erweiterungsmüdigkeit in der EU nicht mehr will, wäre es besser, uns das zu sagen – und uns nicht immer neue Bedingungen zu stellen.“

Serbiens Regierung habe das Vertrauen der EU-Partner verdient, meint auch Vučić: „Denn wir sind nicht nur politisch und persönlich große Risken eingegangen, sondern haben mehr getan, als von uns erwartet wurde.“ Der Unterstützung Wiens kann sich Belgrad zwar sicher sein. Doch vor allem in Deutschland scheint der Vertrauensvorschuss für Serbien auch wegen der Erfahrungen der Vergangenheit begrenzt. Berlin ist allenfalls zu „grünem Licht“ ohne konkreten Termin bereit: Erst bei tatsächlicher Umsetzung des Abkommens sollten die Beitrittsverhandlungen eröffnet werden.

Ein erneuter Aufschub des Verhandlungsbeginns werde sich negativ auf Kreditrating, Auslandsinvestitionen, EU-Zustimmung und Arbeitslosenstatistiken niederschlagen, meint die Zeitung „Blic“. Die beste Unterstützung zur Verwirklichung des Abkommens sei ein konkreter Termin für den Verhandlungsauftakt, mahnt Premier Dačić. Angesichts möglicher Neuwahlen und schlechter Wirtschaftsdaten käme eine europäische Erfolgsnachricht den Belgrader Koalitionären zupass. Doch ob die Verhandlungen noch im Herbst oder erst im nächsten Jahr beginnen: Für das lange als Europas Paria geltende Serbien scheint sich erstmals eine konkrete EU-Perspektive zu eröffnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2013)

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