Aufholprozess. Die Wirtschaft braucht neue Investoren, die Verwaltung weitere Reformen.
Zagreb. Der Boom der frühen 2000er-Jahre ist vorbei. Die Renovierung der alten Gebäude der Hauptstadt Zagreb geht nur schleppend voran. Wurde noch vor ein paar Jahren ein Haus nach dem anderen von Grund auf saniert, wird jetzt nur noch das Notwendigste ausgebessert. Es fehlt an Geld, an Investoren und wohl auch an Optimismus. Kroatien tritt am 1. Juli als 28. Mitglied der Europäischen Union bei. „Das bringt keine Überraschung für uns. Wir haben uns zehn Jahre darauf vorbereitet. Aber uns ist auch bewusst, dass der Weg der Reformen damit nicht vorbei ist“, sagt Parlamentspräsident Josip Leko.
Tatsächlich wirkt das ganze Land wie eine Baustelle, die noch nicht abgeschlossen ist. Durch die Annäherung an die EU wurden zwar zahlreiche rechtliche Anpassungen vorgenommen. Es wurden mehr als 400 Gesetze adaptiert. Doch vieles davon ist reine Theorie geblieben. Ein guter Teil der Wirtschaft sind noch immer in Staatsbesitz. Ob Banken, Tourismusbetriebe oder Düngemittelhersteller – die Privatisierung der vielen ex-jugoslawischen Betriebe ist ins Stocken geraten. Es fehlt an in- und ausländischen Geldgebern und einer Aufbruchstimmung, die es beim Start der Beitrittsverhandlungen 2005 noch gegeben hatte.
Österreichs Unternehmen haben sich massiv in Kroatien engagiert. Mit Gesamtinvestitionen von 6,98Milliarden Euro ist Österreich einer der wichtigsten Wirtschaftspartner des Landes. Insgesamt haben 750 Firmen die Chance genutzt, sich auf dem neuen Markt zu etablieren. Der Leiter des österreichischen Außenwirtschafts-Centers Zagreb, Roman Rauch, kennt freilich auch deren Beschwerden. Sie kämpfen nach wie vor gegen Korruption – vor allem auf lokalem und regionalem Niveau, ein zähes Justizsystem und eine absurde Überregulierung. „Die Planungs- und Rechtssicherheit ist teilweise noch zu gering.“
Die linksliberale Regierung macht für solche Probleme die Kommunen verantwortlich, auf die sie kaum Einfluss hat. Kroatien hat eine stark föderale Struktur. „So manche lokale Sheriffs behindern die Investoren“, sagt der für regionale Entwicklung zuständige Vizepremier Branko Grčić.
Friedensprojekt als Motivation
Aber Kroatien hat andererseits auch einen frischen Zugang zum europäischen Projekt. „Wir haben den Krieg erst vor wenigen Jahren erlebt“, sagt Staatspräsident Ivo Josipović bei einer Veranstaltung des Vereins europäischer Journalisten (AEJ) in Zagreb. „Für uns ist das Friedensprojekt der EU deshalb noch sehr aktuell.“ Die Regierung kündigt deshalb auch an, dass sie sich für einen raschen Beitritt der Nachbarländer einsetzen werde. „Wir wollen die erreichte Stabilität exportieren“, sagt Kroatiens Außenministerin Vesna Pusić. Ziel sei es auch für Zagreb, die letzten Lücken der europäischen Integration auf dem Westbalkan zu schließen.
Wie schwer es ist, die Wunden des Krieges zu heilen, wird aber auch in Kroatien selbst deutlich. In Vukovar stehen noch immer viele zerbombte Häuser. Die schweren Auseinandersetzungen mit der serbischen Minderheit wurden bisher lediglich auf dem Papier gelöst. Die Verfassung schreibt deren Rechte fest – etwa die Vertretung im kroatischen Parlament. In der Realität haben Serben auch heute kaum Chancen auf einen Job in der öffentlichen Verwaltung des Landes, in einigen Regionen werden sie sogar vom Wohnungsmarkt ferngehalten. Es gibt getrennte Schulen. „In den Serbengebieten liegt die Arbeitslosigkeit bei 50 bis 70Prozent“, sagt Milorad Pupovac, einer der drei serbischen Abgeordneten im kroatischen Parlament. Er fürchtet, dass die kleinen Schritte im Umgang mit seiner Minderheit nach dem EU-Beitritt nicht fortgesetzt werden. „Die neue Regierung ist nicht mehr in EU-Verhandlungen. Sie muss sich nicht mehr beweisen.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2013)