Vom Industrie- zum Wohnort: Schwechat erfindet sich neu

Industrieort Wohnort Schwechat erfindet
Industrieort Wohnort Schwechat erfindet(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Trotz Flughafens und Raffinerie verzeichnet Schwechat mehr Zuzug. Die Stadt hat bisher viel investiert, ab nun heißt es aber sparen.

Schwechat. Besonders nachts bietet die OMV-Raffinerie in Schwechat einen Anblick, der aus einem Science-Fiction-Film stammen könnte: grelle Lichter, dicke Rohre, die in die Luft ragen – eine Stadt wie auf einem anderen Planeten. Die Raffinerie liegt auf der Strecke zwischen Wien und Flughafen und sie ist genauso ein Schwechater Merkmal wie der Flughafen selbst, die Brauerei sowie eine Produktionsstätte des Kunststoffherstellers Borealis. In Schwechat gibt es mehr Arbeitsplätze (bis zu 18.000, je nach Konjunktur) als Einwohner (zirka 16.800). Schwechats Ruf als Industrie- und Arbeitsstandort ist also nicht weit hergeholt.

Und das soll sich ändern, frei nach dem Motto: Schwechat hat mehr zu bieten als Fluglärm. Tatsächlich ist der starke Zuzug in die südöstlich von Wien gelegene Stadt durchaus bemerkenswert, die neuen Bewohner lassen sich von Flughafen und Raffinerie offenbar nicht abschrecken. Was wiederum für den SPÖ-Bürgermeister Hannes Fazekas Grund zur Freude ist. Sein Ziel: Bis 2030 soll die Einwohnerzahl auf 20.000 wachsen. Dafür will er die infrastrukturellen Voraussetzungen schaffen: Wohnraum, Verkehrskonzept, Schule, Kinderbetreuung.

Sozialdemokratische Musterstadt

Ausgesprochen schwer hat es Fazekas – politisch gesehen – nicht, er hält eine bequeme Mehrheit im Gemeinderat. Überhaupt ist er damit aufgefallen, mit Schwechat eine sozialdemokratische Musterstadt zu basteln. Er garantiert jedem Kind einen Hortplatz, eine zusätzliche Turnstunde für jeden Schüler (die Kosten übernimmt die Stadt) und Zuschüsse, wenn Gemeindebaubewohner mehr als 25 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen. Die Stadt betreibt ein Seniorenheim, beherbergt eine Sonderschule, die örtlichen Theater werden finanziell unterstützt. Fazekas: „Das alles kostet Geld, sehr viel Geld.“

Und langsam ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Derzeit wird über Sparmaßnahmen beraten, die eine oder andere Institution wird kürzertreten müssen. Dabei eilt Schwechat der Ruf voraus, aufgrund der Industrie ein wohlhabendes Pflaster zu sein. Das war einmal. Vergangenes Jahr hat die Stadt zwar im ordentlichen Haushalt mit rund 65,6 Mio. Euro auf der Einnahmen- und Ausgabenseite ausgewogen bilanziert, der Gesamtschuldenstand beträgt aber 53,9 Mio. Euro.

Auf Schwechat kommen noch Ausgaben zu, die dem Erhalt des Multiversums dienen, einer Veranstaltungshalle direkt beim Bahnhof (mindestens zwei Mio. Euro jährlich). 2011 ging die Halle – ein Prestigeprojekt Fazekas – in Betrieb; sie mag zwar zu 80 Prozent ausgelastet sein, ihr Image ist dennoch ramponiert. Die Herstellungskosten wurden mit 37 Mio. Euro beziffert, tatsächlich sollen die Kosten zwischen 45 und 52 Mio. Euro betragen haben. Bei der Darlehensvergabe wurde offenbar nicht korrekt gehandelt, die Justiz ermittelt.

Bewährte Bürgerbeteiligung

Fazekas steht zur Halle. Ein Konkurs, wie die Opposition fordert, „hätte hier alles hingemacht“. Die Stadt strebt eine 100-prozentige Übernahme der Halle bis zum Herbst an. Derzeit hält sie 49 Prozent, weitere 33 hält Tischtennis-Ass Werner Schlager und 18 Prozent die Sportvereinigung Schwechat. Die Zusammenarbeit mit den anderen Teilhabern habe sich als kompliziert erwiesen, sagt Fazekas.

Weitaus effektiver ist das Schwechater Konzept der Bürgerbeteiligung: Sie ist seit den 1990er-Jahren institutionalisiert. Ein ständiger Bürgerrat aus jeweils 20 Personen begleitet die Politiker in Bereichen wie Sport und Integration. Zusätzlich werden themenbezogene Bürgerräte eingerichtet, wie zuletzt beim „Verkehrskonzept 2030“. Hier stand der Ingenieur Andreas Hierreich dem Bürgerrat vor.

Dank ihrer Vorschläge werden Konzepte wie Shared Space geprüft, sagt Hierreich. Er habe in Schwechat das Gefühl, dass die Bürger ernst genommen werden. Das ist neben der Nähe zu Wien – ein unschlagbares Argument, genauso wie die vielen Verkehrsverbindungen – mit ein Grund, warum er hier wohnen bleiben wird. Auch wenn sich sein Haus in der Nähe der Abflugrampe befindet.

Auf einen Blick

Schwechat. Die Stadt liegt etwa 16 Kilometer südöstlich von Wien und ist insgesamt 44 Quadratkilometer groß, davon sind 64 Prozent Grünfläche, 16 Prozent Bauland und elf Prozent Flughafen. Derzeit hat Schwechat etwa 16.800 Einwohner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2013)

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