Klosterneuburg: Anrainer gegen Wiener

Klosterneuburg Anrainer gegen Wiener
Klosterneuburg Anrainer gegen Wiener(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Abseits von Stifts- und Weinkultur machen Grünlandbewahrer gegen Bauwütige mobil. Wer stärker ist, bestimmt die Zukunft der Stadt.

Anno 1114. An einem 12. Juni, so die Legende, ließ der Babenberger-Markgraf Leopold III. den Grundstein für eine monumentale Stiftskirche legen – gleich neben seiner Burg, in der Ortschaft Klosterneuburg. Das war vor – fast – 900 Jahren. Nächstes Jahr feiert das Stift Klosterneuburg sein rundes Jubiläum.
Ebenso alt wie das Stift ist dessen Weinbau. Die Güter, gelegen in Klosterneuburg, Wien, Gumpoldskirchen und Tattendorf, erstrecken sich über 108 Hektar Rebfläche. Es handelt sich um den ältesten Weinbau Österreichs und zugleich um einen der größten des Landes.
Das ist eine Seite der an den nordwestlichen Stadtrand von Wien angrenzenden Babenberger-Stadt. Daran anknüpfend definiert ÖVP-Bürgermeister Stefan Schmuckenschlager (der 34-Jährige gilt als Personalreserve der Volkspartei, sein Bruder Johannes ist ÖVP-Nationalratsabgeordneter, seine Familie betreibt im Ort einen beliebten Heurigen) die Marke Klosterneuburg so: „Wir stehen für Wein, Wald und Donau.“

Damit ist das Stichwort gefallen. Die Nähe zu Wien ist es, die Klosterneuburg – nach St. Pölten und Wiener Neustadt die drittgrößte Stadt Niederösterreichs – besonders attraktiv macht. Und zugleich eine problematische Seite hervorkehrt. Je mehr Wiener versuchen, dem Grau der Millionenstadt zu entgehen, desto knapper wird der Platz in der unmittelbaren Peripherie. Gute Lagen werden so immer noch teurer. Immobilienspekulationen blühen.
Umgekehrt: Jene, die bereits in Klosterneuburg leben, treten vielfach für den Erhalt von Grünraum ein. Der örtliche Way of Life lässt sich so erklären: In Wien arbeiten und ausgehen, in Klosterneuburg wohnen. Das Prädikat „Schlafstadt“ konnte bisher nicht abgestreift werden.
Die Stadt mit dem Stift hat inklusive der 5429 Zweitwohnsitze gut 31.000 Einwohner. Die Kurve der Bevölkerungsentwicklung verläuft seit den 1970er-Jahren nach oben. Im Vorjahr zogen 2126 Menschen weg – deutlich mehr, nämlich 2490, zogen zu.

Kampf um die Toplagen

Besagter Kampf um Erschließung von Bauland wird nicht selten von Wohnbaufirmen gewonnen, die dann buchstäblich jeden verfügbaren Quadratdezimeter mit wuchtigen Betonklötzen ausfüllen. Aktuell wendet sich eine „Bürgerplattform“ gegen geplante Umwidmungen von Grün- in Bauland. Diese Plattform wird von den recht bissig gegen die ÖVP-„Absolute“ auftretenden Grünen unterstützt.

Derzeit werden Unterschriften für eine Volksbefragung gesammelt. Kommen genug zusammen, und danach sieht es derzeit aus, könnte die nächste Gemeinderatssitzung am 27. September turbulent werden. Die erste Volksbefragung in der langen Geschichte der Stadt könnte tatsächlich beschlossen werden.
Dabei werden dann mehrere Fragen zu konkreten Umwidmungsvorhaben innerhalb der Gemeinde – betreffend etwa die Villa Brunnenpark in Weidling oder die Parkanlage Stollhof in Kierling – an die Bevölkerung gestellt. Auch über die umstrittene Errichtung eines Golfplatzes nahe des Rehabilitationszentrums „Weißer Hof“ wird dann abgestimmt werden.

Eine Stadtbewohnerin, die sich für das Zustandekommen der Befragung engagiert, ist die seit zehn Jahren mit ihrer Familie in Klosterneuburg wohnende und an der Uni Wien arbeitende Soziologin Christiane Rille-Pfeiffer.
Sie stellt „die Tendenz“ fest, „den bestehenden Grünraum zugunsten überbordender Bautätigkeit immer weiter einzuschränken“. Und sagt: „Hält dieser Trend an, so könnten genau die beiden Dinge, die Klosterneuburg auszeichnen, nämlich der Erholungswert durch die Natur vor der Haustüre und das intakte Sozialgefüge, zunichtegemacht werden.“ Zu viel Veränderung sei ungesund: „Die Stadtpolitik sollte erkennen, dass die Bewahrung der eigenen Charakteristik die Chance ist, die hohe Lebensqualität zu erhalten.“
Apropos Lebensqualität. Diese hatte in den vergangenen Jahren einen hohen Preis. Der aktuelle Schuldenstand Klosterneuburgs beträgt 57,3 Millionen Euro. Der Rechnungsabschluss 2012 wies ein Minus von 59,17 Millionen Euro aus. Jedoch sah das Jahr davor mit 62,5 Millionen Schulden noch schlimmer aus. Der Negativtrend wurde zuletzt also gestoppt.

Feinstaub-Hochburg

Eben dies gelang bei einem anderen Thema nicht. Klosterneuburg ist – gemessen an der Feinstaubbelastung – eine der schmutzigsten Städte Österreichs. Ja, die Messstelle befindet nicht auf dem Stadtplatz, sondern an der viel befahrenen B14 (Wiener Straße). Trotzdem wurden ebendort von Jahresbeginn bis Ende Juli an 30 Tagen die Feinstaubgrenzwerte überschritten. Eine alarmierende Quote.

Insgesamt also gibt es in Sachen (Stadt-)Entwicklung viel zu tun. Mit diesem Umstand war die Stadt, die während der Flut im Juni dank eines neuen Hochwasserschutzes vom Schlimmsten verschont blieb, in ihrer langen Vergangenheit immer schon konfrontiert.
Und sie konnte damit umgehen. Schon seit den Babenbergern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2013)

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