Vom Kleinstadtsterben ist in Mödling nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die Preise steigen. Ab Oktober wird die komplette Stromversorgung auf Ökostrom umgestellt.
Wien. Vorn wird geheiratet, hinten auf die endlich abgeschlossene Scheidung mit einer Karaffe „Spritzer Aperol“ angestoßen. Nirgendwo wird diese Dualität, die für die Stadtgemeinde Mödling und ihr Einzugsgebiet typisch ist, so deutlich wie rund um das Standesamt inmitten der Fußgängerzone. Während nämlich die historischen Bögen im Rathaus nach wie vor eine beliebte Fotokulisse für frisch verheiratete Paare sind – und viele Jungfamilien gern in Mödling wohnen würden –, stößt sich ebendort längst niemand mehr an einer Scheidung. Immerhin kann die Scheidungsrate durchaus mit dem Wiener Niveau mithalten und liegt bei knapp über 50 Prozent. „Wir haben 63 Prozent Singlehaushalte, man merkt eine gesellschaftlich urbane Struktur“, sagt Bürgermeister Hans Stefan Hintner (ÖVP).
Bioheuriger im Alternativgrätzel
Diese urbane Struktur spürt man aber auch hinter dem Standesamt, wo sich ein kleines Alternativgrätzel angesiedelt hat. Die spanische Tapas-Bar Casita und die dazugehörige Bar Vinzent, die neben dem Aperol-Angebot auch ein Theatermenü mit Prosecco und Garnelen anbietet, teilen sich den Schatten des Rathauses mit dem Figurentheater Möp, dem Gea-Shop, einem Weltladen und dem Heurigen des Bioweinguts „Horny x Stock“, der genauso auch in Wien-Neubau stehen könnte. „Mödling ist urban. Gerade im Sommer gibt es in der Fußgängerzone ein total feines mediterranes Flair. Von einem Kleinstadtsterben ist hier nichts zu spüren“, sagt Iris Lindner, die den Gea-Shop betreibt.
Historisch gesehen war das nicht immer so. Ein Blick in die Geschichte macht deutlich, dass sich nicht nur die Stadt selbst, sondern auch der ganze Bezirk Mödling mit seinen 20 Gemeinden – von Achau über Guntramsdorf oder Maria Enzersdorf bis zur Hinterbrühl – über die Jahrzehnte gemausert hat. Bürgermeister Hintner betont gern, wie sich die Region „aus eigener Kraft und mit den richtigen politischen Rahmenbedingungen“ entwickelt hat.
Bis 1954 stand Mödling nämlich unter Wiener Verwaltung. „Mödling wurde unter Hitler als 24.Wiener Bezirk eingemeindet“, sagt Hintner. Nach dem Krieg war die Region unter russischer Besatzung. „Es wurde nichts investiert, weil man wusste, man gibt Mödling wieder an Wien zurück“, so der Bürgermeister, der in den 1970ern in Guntramsdorf aufgewachsen ist. „Damals versuchte man verzweifelt, Industriegrundstücke zu verkaufen – um einen Schilling pro Quadratmeter. Heute zahlt man dort zwischen 220 und 280 Euro.“
Erst Mitte der 1960er ging es aufwärts. Wo sich während des Zweiten Weltkriegs die Flugmotorenwerke Ostmark befanden, ist das heutige Industriezentrum Niederösterreich Süd entstanden. Die Firmen Isovolta und Billa zählten zu den Ersten, die sich hier ansiedelten. Auch der Bau der Wohnregion Südstadt trug dazu bei, dass der Ballungsraum wuchs.
Mittlerweile hat der Bezirk Mödling knapp 115.000 Einwohner, die Stadt selbst knapp 21.000 – plus 3500 Bewohner im Zweitwohnsitz. Hinzu kommen zahlreiche Schulen, unter anderem die mit 3600 Schülern größte HTL Europas. Dass vor allem die Stadt Mödling, aber auch Teile von Perchtoldsdorf, Maria Enzersdorf, Gießhübel und Hinterbrühl beliebt sind, zeigt sich nicht nur an den Einwohnerzahlen, sondern auch an den steigenden Preisen.
„Aberwitzige“ Preise fürs Wohnen
Vizebürgermeister Gerhard Wannenmacher (Die Grünen) spricht von „mittlerweile aberwitzigen Preisen von bis zu 4500 Euro pro Quadratmeter. Die Wohnungen gehen aber weg wie nichts.“ Entsprechend wohlhabend ist die Bevölkerung. Bei einem österreichweiten Kaufkraft-Ranking des Marktforschungsinstituts Gfk findet sich der Bezirk Mödling auf Platz drei – und als einziger Nicht-Wiener-Bezirk unter den Top Ten.
Platz für neuen Wohnraum gibt es in der Stadt jedoch kaum. Wer es sich nicht mehr leisten kann, muss in Nachbargemeinden auswandern. Lediglich auf dem Gelände der einstigen Gendarmeriezentralschule – bei der HTL – wären noch rund 40.000 Quadratmeter frei. „Es gab einen Gestaltungswettbewerb, was die Widmung betrifft. Wir wollen dort günstiges Wohnen ermöglichen, es gibt ja sonst nur frei finanzierte Projekte“, sagt Wannenmacher. Der Eigentümer, die Bundesimmobiliengesellschaft, wartet auf das Okay für den Abriss. „Wir wollen noch diesen Sommer beginnen“, so Sprecher Ernst Eichinger.
Nach der nicht gerade unumstrittenen Neugestaltung der Hauptstraße – vor allem die Reduktion von Parkplätzen wurde kritisiert, immerhin kommen auf einen Mödlinger Haushalt 2,8 Autos – gibt es noch ein weiteres Projekt, das sehr städtisch anmutet. Ab 1.Oktober wird die Stromversorgung der gesamten Stadt auf Ökostrom umgestellt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2013)