Ohne Perspektive und Punch: Die gefesselte Republik

Ohne Perspektive Punch gefesselte
Ohne Perspektive Punch gefesselte(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Noch 43 Tage bis zur Entscheidung: Klingt spannender als der Wahlkampf, der sich in diesem außergewöhnlichen Sommer 2013 außergewöhnlich träge gestaltet.

Flexibilität zählt wahrscheinlich nicht gerade zu jenen Eigenschaften, mit denen Österreich in der Außensicht besonders häufig assoziiert wird. Flexibilität zählt wohl auch nicht zu den Lieblingsbegriffen der Österreicher selbst. Dass das immerwährend so bleiben möge, darum kämpfen SPÖ, Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer (wo genau war da bloß gleich der Unterschied?) seit Freitag. Die vereinzelten Vorwürfe, die SPÖ gehe das Werben um Stimmen für die Nationalratswahl am 29.September eher gemächlich an, sind seither obsolet. Aus heiterem Himmel wurde gemeinsam ein neuer Feind ausgemacht. Flexibilität – in diesem Fall konkret der Arbeitszeit – soll ein böses, böses Wort bleiben, das man nicht ungestraft in den Mund nimmt und sofort mit dem Totschlagargument Neoliberalismus erwidert wird. Dass die SPÖ – Pardon, und zufällig gleichzeitig auch die parteifreie Gewerkschaft und die verfassungsrechtlich in ihrer Existenz als Art Pflichtversicherung aller Arbeitnehmer (wofür oder wogegen eigentlich?) einbetonierte parteifreie Arbeiterkammer – mehr als eine Woche nach der Präsentation durch die ÖVP reagiert, wird wohl mehr dem intensiven Studium des Wirschaftsprogramms des Koalitionspartners geschuldet sein als der Apparaten immanenten Langsamkeit.

Jeder Schritt in Richtung Flexibilisierung hat also, wie wir nun erfahren, gleichsam als obszön zu gelten, wenngleich darauf vergessen wird, dass manche Berufsgruppen von einem Zwölf-Stunden-Arbeitstag nur träumen können. Die Gewerkschaft hat offenbar noch nie etwas von der Arbeitszeit der Spitalsärzte gehört oder gelesen.

Wenn etwas tatsächlich obszön ist, dann das völlige Abschotten sämtlicher Organe zur Wahrnehmung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realität. Wäre ja nur halb so schlimm, wenn dieses Phänomen nur bei der Arbeitszeit-Flexibilisierung zu beobachten wäre. Ähnliches ist aber auch in den Bereichen Staatsverschuldung, Bildung, Steuern, Wirtschaftsklima etc., etc. zu beobachten.

Noch 43 Tage also bis zur Entscheidung darüber, welche Parteien in welcher Stärke dem neu gebildeten Nationalrat angehören werden. Klingt spannend. Ist es aber nicht. In dem, was Parteistrategen und -lenker unter Wahlkampf so zu verstehen belieben, herrscht bisher ein eklatanter Mangel an Fantasie, Perspektive und Punch.

Wo sind die auch nur einigermaßen kraftvollen Ideen für Österreich 2018? Nicht erschrecken, aber so lang würde, wenn nicht wieder eine der Koalitionsparteien der Hafer sticht, die nächste Regierungsperiode dauern. Wahlkampf 2013 heißt: keine wirkliche Idee zu haben und diese auch wenig originell an potenzielle Wähler zu bringen. Während Michael Spindelegger die Wirtschaft entfesseln will (eine der raren halbwegs zukunftsgerichteten Ansagen, an die man den VP-Chef noch wird erinnern müssen), präsentiert sich die Politik insgesamt, vor allem aber seitens der beiden größeren Mittelparteien SPÖ und ÖVP, zunehmend gefesselt.

Gefesselt von der eigenen Organisation, den Teilen, die das große Ganze mehr überwuchern, mehr blockieren, als dass sie ihm dienen würden. Was wäre ein Werner Faymann ohne die Rückendeckung der Gewerkschaft und des Boulevards? Wohl derselbe Kleindarsteller, wie es Michael Spindelegger ohne das offen zur Schau getragene Wohlwollen Erwin Prölls wäre.

Gefesselt auch durch eigene Ideen- und die Hilflosigkeit, sich des Know-hows von außen zu bedienen, erscheint die Politik ausschließlich im Hier und Jetzt erstarrt, in einem Kreislauf des Im-Grunde-immer-mehr-von-Demselben. Gefesselt von der Angst, Fehler zu begehen. Nur ja niemanden verunsichern, nur ja niemanden schrecken, scheint die Direktive, der sich alles andere – auch so etwas wie der Spaß am politischen Gestalten – unterzuordnen hat. Gefesselt sind schließlich SPÖ und ÖVP aneinander, weil das österreichische Wahlrecht so ist, wie es eben ist.

Wir Wähler dürfen uns im bisherigen Wahlkampf unterfordert fühlen. Ob das jene auch nur ansatzweise fühlen, die von den Wählern gewählt werden wollen? Zweifel darüber sind durchaus angebracht.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

New Articles

Mit Wohlfühlthemen unterwegs

Kurswechsel. Erklärtes Ziel der Grünen ist eine Regierungsbeteiligung. Eva Glawischnig baut dabei nicht nur auf den Kampf gegen Korruption.
New Articles

Neos, Piraten, KPÖ: Mit wenig Mitteln gegen den Stillstand

Die pinke Partei will ÖVP und die Grünen Stimmen kosten. Die Piraten setzen auf das Netz, die Kommunisten auf Stammwähler.
New Articles

Der Überlebenskampf des BZÖ

Orange. Den Verbleib im Hohen Haus will sich das BZÖ durch Stimmen von „Leistungsträgern“ sichern.
New Articles

Stronach wirbt mit seinem Geld

Bürgernähe. Frank Stronach präsentiert sich als Staatsmann und versucht die Unzufriedenen mit Werbetricks anzulocken.
New Articles

Kurzwahlkampf der FPÖ mit Altbewährtem

Aufreger. Kirchenvertreter kritisieren die Wahlplakate. Das war durchaus so gewollt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.