Keine schwulen Spiele

Wirbel um Anwendung des russischen Anti-Homo-Paragrafen bei den Winterspielen in Sotschi.

Ob es die Gäste bemerken werden? Im olympischen Park von Sotschi, dort, wo von 7. bis 23. Februar 2014 am Ufer des Schwarzen Meeres die Winterspiele stattfinden werden, steht ein Gebäude in den Farben des Regenbogens. Des Symbols der Homosexuellenbewegung. Das Hotel, gleich neben dem Pressezentrum, wirkt angesichts der aktuellen Debatte über die Diskriminierung Homosexueller in Russland wie ein aberwitziger Kommentar der Organisatoren.

Mit dem Gesetz zum Schutz vor homosexueller Propaganda, das im Juni erlassen wurde, hat Russland ein PR-Desaster Monate vor der Eröffnung der Olympischen Spiele erfahren. Angesichts der Aufregung über den Paragrafen versuchte Präsident Wladimir Putin kürzlich Bedenken zu zerstreuen: Die Russen, erklärte er, würden auch Homosexuelle lieben, prominentes Beispiel sei der Komponist Peter Tschaikowsky.

Doch liebt man die Homosexuellen nicht besonders, sobald sie ihre Neigung öffentlich kundtun. Das neue Gesetz stellt die Propagierung nicht traditioneller Beziehungen unter Strafe, angeblich zum Kinderschutz. In Russland unterstützt laut Umfragen die Mehrheit der Bürger das Gesetz; fast 40 Prozent glauben, dass Homosexuelle Behandlung brauchen. Der Paragraf dürfte diese Ressentiments in Zukunft noch verstärken. Homosexuelle Aktivisten wie Alexej Odintsow, der in Moskau eine Gruppe zur Unterstützung der Eltern Homosexueller leitet, befürchten einen Anstieg von Hate Crimes. Das Gesetz bereite der Intoleranz einen fruchtbaren Boden, sagt er. „Es ist, als stünden wir außerhalb des Gesetzes. Als wären wir keine gleichwertigen Menschen.“

Auch Aufklärungsunterricht, der von einer gleichberechtigten Existenz homosexueller Lebensformen spricht, ist damit tabu. Psychologen oder Lehrer, die schwule oder lesbische Jugendliche bei ihrem Coming-out unterstützen, können abgestraft werden. Odintsow berichtet, dass auch die legale Selbstorganisation von Homosexuellen erschwert wird: Es sei praktisch unmöglich, eine Homosexuellen-NGO zu gründen. Gruppen hätten Schwierigkeiten, Räume zu mieten oder Veranstaltungen zu organisieren.

Dennoch sprechen sich Odintsow und andere Moskauer Aktivisten gegen einen Boykott der Olympischen Spiele aus. Sie hoffen vielmehr auf internationale Unterstützung – und auf kreative Aktionen von Besuchern und Sportlern. Von russischen Sportlern sei nichts zu erwarten: „Die stehen unter sehr großem Druck.“


An den FSB verwiesen. Doch ob es in Sotschi überhaupt zu Gesten der Solidarisierung kommen kann, ist mehr als unsicher. Das russische Organisationskomitee hüllt sich in Schweigen. Wird es – wie sonst üblich bei Olympischen Spielen – ein sogenanntes Pride House als Treffpunkt für homosexuelle Sportler geben? Was könnte passieren, wenn sich Gäste in T-Shirts mit Protestslogans zeigen? Was, wenn Sportler – so geschehen bei der Leichtathletik-WM in Moskau im August – mit in Regenbogenfarben lackierten Fingernägeln ein Zeichen setzen? Wenn es doch jemandem gelingt, ein Transparent zu entrollen? Werden Aktionen wie diese als „homosexuelle Propaganda“ gewertet und entsprechend bestraft?

Das Sotschi-2014-Organisationskomitee konnte der „Presse am Sonntag“ diese Fragen nicht beantworten. Man verfolge einen „inklusiven Ansatz“ und arbeite hart daran, dass die Spiele für ihre „Diversität, ihre Innovation und ihre Inspiration für die Menschen auf der Welt“ in Erinnerung blieben. Salbungsvolle Worte. Für eine Auslegung des Gesetzestextes verweist man auf den Inlandsgeheimdienst FSB. Doch die Pressestelle des FSB blieb dieser Zeitung ebenfalls eine Antwort schuldig.

Fakt ist, dass Präsident Putin per Dekret jegliche Demonstrationen von 7. Jänner bis 21. März verboten hat. Sportminister Vitali Mutko erklärte, das Leben von homosexuellen Sportlern und Besuchern sei nicht nicht Gefahr. Man wolle aber keine „Bewerbung nicht traditioneller Beziehungen vor der Jugend“.

Wie könnten die Sicherheitskräfte in der Praxis also auf Provokationen reagieren? Unbestritten ist die internationale Aufregung um den Paragrafen für Moskau äußerst unangenehm. Sollte es in Sotschi tatsächlich Zwischenfälle geben, dürfte man Interesse haben, diese möglichst diskret aufzulösen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2013)

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