Als Fett noch ein begehrtes Statussymbol war

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Das erste Halbjahr 1914 galt als Höhepunkt des großen Schlemmens. Wer es sich leisten konnte, aß viel, fett und exquisit - etwa Kaviarschnitzel, Kalbsbrust mit Hirnfülle oder, wie der Kaiser, Tafelspitz.

Kaninchen, welche man am besten mit einem Stich zwischen den Vorderbeinen in das Herz tötet, werden wie Hasen abgehäutet und zerlegt.“ Oder: „Kuheuter in gesalzenem Wasser mit Wurzeln kochen, bis man die Haut abziehen kann. Wenn sie sich noch nicht abziehen lässt, am nächsten Tag im Sude weiterkochen, aber nicht in der Zwischenzeit darin lagern lassen.“

Was heute als eher ungewöhnlich gilt, waren Anfang 1914 zwei ganz normale Einträge in Kochbüchern für die bürgerliche Hausfrau – genau genommen aus den beiden Klassikern „Wiener Küche“ von Adolf und Olga Hess (1.Auflage 1911) und „Die süddeutsche Küche“ von Katharina Prato (1.Auflage 1858). Auch wenn die beiden oben genannten Rezepte heute wohl nicht mehr verwendet werden und keine Köchin mehr kleinere Tiere wie Kaninchen, Hasen oder Gänse selbst erlegt, wurde vieles daraus bewahrt. Die Klassiker der österreichischen und der Wiener Küche gab es damals schon: ob Tafelspitz, Rindsuppen mit allerlei Einlagen – auch wenn die heutige Auswahl wesentlich kleiner ist – oder die obligatorischen Mehlspeisen. Selbst das Wiener Schnitzel war damals schon beliebt. Nur mit dem Unterschied, dass nicht Kartoffelsalat dazu serviert wurde, sondern „Salate aller Art, Salzgurken, grünes Gemüse, gemischtes Kompott, Apfelpüree und dergleichen“, wie das Ehepaar Hess empfiehlt, das in Wien auch die Berufsschule für angehende Köche leitete. Auch Risotto oder Nudeln waren beliebte Beilagen.

„Der Kartoffelsalat war eine Errungenschaft der 1930er-Jahre“, sagt Historiker Hannes Etzlstorfer, der gemeinsam mit Franz Karl Ruhm – dem Sohn des Kochs Franz Ruhm, der am kaiserlichen Hof tätig war – im März das Buch „Tafeln mit dem Kaiser“ (siehe rechts) herausgibt.


Süße Suppen. Etzlstorfer bestätigt, dass Kaiser Franz Joseph fast täglich Rindfleisch gegessen hat. „Und er war ein großer Freund der Suppen“, so der Historiker. Wobei sich die Suppenauswahl nicht mit jener von heute vergleichen lässt. Allein das Inhaltsverzeichnis für Suppen ist im historischen Hess-Kochbuch vier Seiten lang. Eine kleine Auswahl der Rindsuppen mit Teigeinlagen: Nudeln, Bandnudeln, Fleckerln, Sternchen, Reibgerstel, Tropfteig, Käsetropfteig, gebackene Tropfteigerbsen, Brandteigkrapferln, Frittaten. Die Kategorien Nockerln, Knödel, Schöberln, Dunstkoch, Strudel und weitere Einlagen bieten noch weit mehr Vielfalt. Am Kaiserhof wurden auch regelmäßige süße Suppen, etwa mit Schokolade oder Zwetschken, serviert. Allerdings nicht als Dessert, sondern als ganz normale Vorspeise. Das wiederum hatte mit der rigorosen Fastenküche zu tun, die einen abwechslungsreichen Fleischersatz verlangte.

Aber zurück zum Kaiser, dessen Essgewohnheiten vom Adel und dem Bürgertum kopiert wurden. Neben Rind standen auch oft Wild, Kapaun und Wachteln auf dem Speiseplan. Letzteres, wenn besonders wichtige Gäste geladen wurden. Immerhin war auch schon vor 100 Jahren Essen politisch, und nicht immer konnte auf des Kaisers Vorlieben Rücksicht genommen werden. Denn Fisch mochte er ebenso wenig wie die Küche aus den Kronländern. „Das stand ganz selten auf dem Speiseplan. Gulasch gab es nur, wenn man einem Gast Weltoffenheit demonstrieren wollte“, so Etzlstorfer. Wenn seine Tochter Gisela inklusive Verwandtschaft zu Besuch war, stand hingegen der landbayrische Rostbraten auf dem Menü. Der Kaiser nahm die Speisenauswahl sehr ernst und korrigierte die ihm vorgelegte Menükarte gern mit einem Rotstift. „Daraus lässt sich viel ablesen. „Es gab Tage, da strich er alles und verlangte nur saure Suppe“, sagt Etzlstorfer, der die kaiserlichen Essensvorlieben als „ganz normale Hausmannskost“ bezeichnet. Mit dem feinen Unterschied, dass die Speisen eben mit französischen Namen versehen wurden.


Fett statt Heizung. Harald Fargel, Altpräsident des Verbands der Köche Österreichs, bezeichnet das Jahr 1914 gar als den „Höhepunkt des Schmausens“. „Es war eine Zeit des relativ großen Wohlstands. Bis zu dem unsäglichen August 14 wurde besonders fein gegessen“, so Fargel. Die noch heute bekannten Klassiker wurden allerdings mit einem wesentlich höheren Fettanteil serviert. „Fett war ein Statussymbol. Man musste ja auch mehr Fett essen, weil es keine richtigen Heizungen gab und es dadurch viel kälter war,“ sagt der Koch. Hinzu kommt, dass viel mehr schwer körperlich gearbeitet wurde. Generell galt: je fetter, desto besser. So wurde ein Lungenbraten, der den Menschen damals viel zu trocken war, mit Speck gespickt. Niemand wäre auf die Idee gekommen, ein Steak zu braten. Beim Wild wurde generell nur der Hirsch gegessen. Das Reh galt aufgrund des niedrigen Fettanteils als „Ziege des Waldes“.

Die ärmere Bevölkerung, die sich kein Fleisch leisten konnte, brannte hingegen alles ein. Die „Einbrenn“ war Geschmacksgeber für Suppen, Erdäpfel oder Gemüse. „Für die Landbevölkerung gab es nur zweimal Rindfleisch: bei der Hochzeit und bei der Beerdigung. Kalb gab es so gut wie nie, Speck wurde gleich weggesperrt, und Hendl gab es nur bei der Firmung“, sagt Fargel. Letzteres wurde so lange gekocht, bis das Fleisch zerfiel – als Sicherheitsmaßnahme gegen Krankheitserreger. „Aus Mehl und sauren Äpfeln entstand der Apfelstrudel. Und Suppen waren das Um und Auf. Ein Essen ohne Suppen war kein Essen.“

Brot wurde beim Bäcker gekauft, für einzelne Haushalte war es nicht wirtschaftlich, die Energie, die man für das Brotbacken benötigt, aufzubringen. Generell war Weizenmehl teuer und wertvoll und wurde deshalb nur für den Sonntagskuchen verwendet. Roggenmehl spielte im Alltag aufgrund der schnelleren und länger andauernden Sättigung eine wesentlich wichtigere Rolle. Für die, die nicht so viel hatten, war das oberste Gebot: Jede Mahlzeit sollte so viele Kalorien wie möglich haben. Ein Grundsatz, der sich heute ebenso gewandelt hat, wie die Bewertung des Weizenmehls als hochwertiges und teures Mehl, des Roggens hingegen als günstige Alternative.


Rindfleischparadies Wien. Während auf dem Land – wenn überhaupt – Schweinefleisch gegessen wurde, war die Stadt, speziell Wien, als Rindfleischparadies bekannt. Das hatte auch praktische Gründe. Immerhin kam das meiste Fleisch, das in Wien verzehrt wurde, aus Ungarn. Die Produktion in Niederösterreich hätte für die Zweimillionenstadt nicht gereicht. Und Schweine und Kälber waren für den langen Marsch aus Ungarn nach Wien ungeeignet. Hinzu kommt, dass Rindfleisch in Wien zum guten Ton gehörte. „Damals hat man nichts gegolten, wenn man nicht mindestens zwölf Rindfleischstücke nennen konnte“, sagt der Koch Peter Kirischitz, der die jüngste Ausgabe des (bereits vergriffenen) Hess-Kochbuchs 2001 überarbeitet hat. Als Tempel der Rindfleischküche galt damals das Restaurant Meissl& Schaden am Neuen Markt.

Rindfleisch wurde dort nicht nur gegessen, sondern zelebriert. Jeder Stammgast hatte seinen „eigenen“ Kellner, seinen Stammplatz und sein Lieblingsstück, das er nur der Zeremonie wegen bestellen musste. Der Wirt hatte das Stück ohnehin längst vorbereitet. Das Meissl & Schaden servierte 24 verschiedene Arten vom gekochten Rindfleisch: etwa Tafelspitz, Tafeldeckel, Rieddeckel, Beinfleisch, Rippenfleisch, Kavalierspitz, mageres oder fettes Meisel, Zapfen oder Ortsschwanzl, um nur einige zu nennen.

Ebenfalls fixer Bestandteil der damaligen Küche waren Fische und Innereien. „Es gab mindestens zwei Dutzend Speisen nur mit Hirn“, sagt Kirischitz und nennt die Hirnfülle für Kalbsbrust als Beispiel. Verwundert hat ihn bei seiner Recherche in den Archiven auch der lockere Umgang mit Produkten, die heute als Delikatessen gelten. Krebse und Kaviar gehörten damals einfach dazu – und waren offenbar nicht besonders teuer. Das Ehepaar Hess hat bei jedem seiner Gerichte den Preis pro Person angegeben. So kostet ein gekochtes Ei damals 0,18Kronen, mit Kaviar doppelt so viel. „Also kostete ein Löffel Kaviar so viel wie ein Ei, das wäre heute undenkbar.“ Nicht nur heute. Kaviar war ab dem Sommer 1914 generell undenkbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2014)

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