„Österreich-Plan“

Mit welchem Programm die ÖVP in die Wahl geht

Karl Nehammer präsentierte am Freitag seinen „Österreich-Plan“.
Karl Nehammer präsentierte am Freitag seinen „Österreich-Plan“. APA / Helmut Fohringer
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Steuersenkungen für Leistungsträger, mehr Eigentum, Verschärfungen für Asylwerber und weniger Arbeitslosengeld: Das sind die Ansagen der ÖVP.

Steuersenkung für die Leistungsträger

Die arbeitenden Menschen sind die Leistungsträger, denen wir den Wohlstand verdanken, und für die muss sich Arbeit mehr lohnen als bisher: Von dieser Prämisse geht das Programm aus, das ÖVP-Chef Karl Nehammer am Freitag in Wels präsentierte. Kern des Konzepts ist daher eine Reihe von Steuersenkungen. So will die ÖVP den Eingangssteuersatz – der greift für Einkommensbestandteile zwischen 12.816 und 20.818 Euro – von derzeit 20 auf 15 Prozent senken. Begünstigt wären alle, die derzeit Einkommensteuer zahlen, und zwar mit rund 400 Euro im Jahr. Wesentlich kleiner ist die zweite Gruppe, die die Volkspartei entlasten will: Die Steuerstufe von 48 Prozent soll entfallen, womit alle, die mehr als 66.612 Euro Jahreseinkommen haben, zusätzlich entlastet würden. Wer ab 100.000 Euro im Jahr verdient, müsste dann um 2400 Euro weniger an Steuern abliefern. Es gelte, jene zu entlasten, die den größten Anteil zum Steueraufkommen leisten, heißt es in der Begründung.

Das Konzept sieht noch weitere Maßnahmen vor, die gezielt auf „Leistungsträger“ abgestimmt sind: Wer Vollzeit arbeitet, soll einen steuerlichen Vollzeitbonus von 1000 Euro bekommen, wobei aber familiäre Betreuungspflichten berücksichtigt würden. Und Überstunden (gemeint sind vermutlich die Überstundenzuschläge) sollen zur Gänze steuerfrei ausbezahlt werden. Derzeit gilt das für 18 Überstunden und maximal 200 Euro im Monat. Mehr bekommen sollen auch Pensionisten, die weiterarbeiten: Sie sollen keine Pensionsbeiträge mehr zahlen müssen.

Abschaffen will die ÖVP auch die Kapitalertragsteuer auf Spareinlagen – zumindest auf jene, die 100.000 Euro nicht übersteigen. Bei einer Verzinsung von vier Prozent brächte das bis zu 1000 Euro im Jahr.

Neuer Anlauf für den Bundestrojaner

Die Demokratie muss wehrhaft sein, so das Credo. Im Bereich der äußeren Sicherheit verspricht die ÖVP daher mehr Berufs- und Milizsoldaten sowie ein klares Bekenntnis zur Neutralität bis 2030. Im Bereich der inneren Sicherheit plädiert Karl Nehammer für Nulltoleranz bei Kriminalität sowie härte Strafen für Wiederholungstäter und auch für Klimakleber. Zur Terrorbekämpfung sollen „die Kompetenzen hinsichtlich der Messenger-Dienste an die aktuellen Überwachungsmöglichkeiten von SMS und Telefonie angepasst werden“. Nachdem der Verfassungsgerichtshof (VfGH) den unter Türkis-Blau beschlossenen Bundestrojaner gekippt hat, soll es also einen zweiten Anlauf zur Überwachung von WhatsApp, Signal und Co. geben.

Tatsächlich ist es für die Staatsschützer momentan ein großes Problem, dass sie diese Nachrichten nicht lesen können und auf Infos aus dem Ausland angewiesen sind. Der VfGH hat allerdings strikte Vorgaben für eine etwaige Neuregelung gemacht (nur bei schweren Straftaten, ausreichender Rechtsschutz).

Mehr Kindergarten, mehr Oma und Opa

Gleich 36 Mal findet sich das Wort Familie (oder Familien) im ÖVP-Papier, das Thema ist für die Partei ein betont zentrales. Versprochen wird eine 4,5 Mrd. Euro schwere Kinderbetreuungsoffensive bis zum Jahr 2030, diesen Plan hat Nehammer aber schon im Vorjahr verkündet. Dass Kinderbetreuungsplätze vor allem auf dem Land fehlen, ist bekannt. Die Schwierigkeit beim Ausbau könnte jedoch insbesondere beim Finden von genügend Personal liegen.

Bemerkenswert ist der Wandel der ÖVP bei dem Thema in den vergangenen Jahren, hat sie doch ideologisch lang die Förderung der familiären Betreuung der staatlichen vorgezogen. Andererseits schlägt Nehammer nun eine Karenz für Großeltern vor, die ihre Enkel betreuen. Sie sollen statt eines Elternteils Kindergeld in Anspruch nehmen können. Vorbild für diese Idee ist Ungarn. Nehammer fordert auch ein automatisches Pensionssplitting der Eltern nach der Geburt eines Kindes (mit Opt-out-Möglichkeit). Das steht auch im aktuellen Regierungsprogramm, wurde aber nicht umgesetzt.

Mehr Härte gegen Klimakleber

Nehammer will härtere Strafen für Klimakleber durch Schaffung neuer Straftatbestände sowie strengere Verwaltungsbußen in der Straßenverkehrsordnung, „damit Einsatzfahrzeuge nicht mehr behindert werden“. Konkretisiert werden die neuen Straftatbestände nicht. Wenn man Einsatzfahrzeuge sieht und daraufhin die Straße blockiert, können schon jetzt Urteile wegen fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung drohen.

Die ÖVP verspricht auch die „Neuregelung der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durch mehr richterliche Kontrolle“. In welchen Bereichen, bleibt offen. Zumindest, wenn es um die Abnahme von Handys geht, braucht es nach einem VfGH-Erkenntnis eine Neuregelung. Um Rechtsverletzungen im Internet zu verfolgen, fordert Nehammer eine Klarnamenpflicht im Internet.

Wie Mieter zu Eigentümern werden

Weniger Mieter, mehr Eigentümer wünscht sich die ÖVP im Wohnbereich. Die Eigentumsquote soll von derzeit 48 auf 60 Prozent ansteigen. Wie das angesichts stark gestiegener Preise auf dem Immobilienmarkt gehen soll? Das Konzept sieht Förderungen für das erste Eigenheim vor: Steuern und Gebühren sollen da gänzlich fallen, die Käufer sollen staatlich besicherte Wohnkredite in Anspruch nehmen können. Speziell im Visier hat die ÖVP die Genossenschaftswohnungen: Die Mieter sollen diese kaufen können, und zwar nicht wie bei den derzeitigen Kaufmodellen zum Verkehrswert, sondern zu den indexierten Errichtungskosten. Wohnungen zum Kauf ­anbieten wollte auch schon die Schüssel-Regierung, damals zeigten die Mieter aber wenig Interesse, worauf ganze Wohnbaugesellschaften verkauft wurden.

EU: ÖVP-Evergreens und „große Fragen“

Eine EU, die sich auf das Wesentliche konzentriert – dieses Anliegen kennt man von Türkis-Blau. Damals hat die Bundesregierung unter jenen fünf Szenarien, die Jean-Claude Juncker, der Vorgänger Ursula von der Leyens an der Spitze der EU-Kommission, für die Zukunft der Union skizziert hat, die Variante „weniger, aber effizienter“ präferiert.

Wesentliche Elemente dieses Zugangs finden sich auch im aktuellen „Österreich-Plan“ wieder. So wird Brüssel aufgefordert, die Union auf Wirtschaftsthemen zu „refokussieren“ und sich „bei Regeln für den Alltag der Menschen“ zurückzuhalten. Die Forderungen nach der Kapitalmarktunion und einem EU-Asylsystem sind ÖVP-Evergreens, der „robuste und effiziente Schutz der EU-Außengrenze“ ist mittlerweile EU-weit Common Sense.

Die Forderung nach einer „Anpassung der EU-Verträge, wenn die EU es nicht schafft, Antworten auf die großen Fragen zu geben“, ist kryptisch – weil nicht klar ist, um welche Fragen es geht – und unrealistisch, da Vertragsänderungen von den EU-27 einstimmig fixiert werden müssen.

Bilinguale Schulen, Leistungsgruppen

Bei den „großen Zukunftsthemen der Bildung“ will die ÖVP neue Schwerpunkte setzen. Kinder sollen lernen, Apps nicht nur anzuwenden, sondern sie auch zu entwickeln. In jedem Bundesland soll es eine bi- oder multilinguale Schule geben. Die Schüler sollen zudem auf künstliche Intelligenz vorbereitet werden.

Für die Mittelschulen wünscht sich die ÖVP eine Wiedereinführung der Leistungsgruppen, die es allerdings unter den Bezeichnungen „Standard“ und „AHS-Standard“ in den Hauptfächern ohnehin gibt. Am Ende der Schulpflicht sollen Grundkenntnisse in Deutsch, Englisch und Mathematik überprüft werden.

Wenig überraschend vonseiten der Volkspartei ist das „klare Bekenntnis zu Schulnoten“, um „Leistung wieder einen Wert“ zu geben, und die Stärkung der Gymnasien. Letztere sollen bereits in den Schulen Lehrinhalte der Universitäten in den Unterricht integrieren.

Zum Schutz vor Fake News sollen alle im VÖZ vertretenen Zeitungen den Schülern ab der 7. Schulstufe kostenlos zur Verfügung stehen.

Weniger AMS-Geld, Arbeit für Sozialhilfe

Nicht nur Steuersenkungen sollen zu höheren Einkommen führen, sondern auch die Senkung der Lohnnebenkosten: Diese sollen jährlich um 0,5 Prozentpunkte reduziert werden. Konkret hat die ÖVP da die Arbeitslosenversicherung und den Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) – der finanziert die Kinderbeihilfe – im Auge. Während die Kosten für den FLAF aus dem Budget getragen werden sollen, sieht das Konzept beim AMS eine Reduzierung der Leistungen vor: Das Arbeitslosengeld soll degressiv gestaltet werden und die Höhe bei längerer Bezugsdauer von 55 auf unter 50 Prozent des vorherigen Einkommens gesenkt werden. Geringfügiges Dazuverdienen zum Arbeitslosengeld soll es nicht mehr geben, und auch die Bedingungen für die Bildungskarenz sollen verschärft werden.

Leitkultur und Anpassung gefordert

„Integration heißt Anpassung“, betont Nehammer. Es brauche „eine österreichische Leitkultur, die sich auch als nationales Kulturgut gesetzlich widerspiegeln soll“. So solle sichergestellt werden, „dass Symbole und Verhaltensweisen, die unseren Grundwerten entgegenstehen, rechtlich differenziert behandelt werden können“. In der Frage, wie die Leitkultur als nationales Kulturgut gesetzlich abgesichert wird, bleibt Nehammer unkonkret. Falls eine Norm auch andere Gesetze binden soll, müsste sie im Verfassungsrang beschlossen werden, wofür eine Zweidrittelmehrheit nötig ist.

Im Integrationskapitel fordert Nehammer zudem „ausschließlich Sachleistungen und zweckgebundene Sachleistungsgutscheine statt Geldleistungen“. Laut dem Verfassungsgerichtshof dürfen aber Zusatzleistungen in der Sozialhilfe nicht ausschließlich in Sachleistungen bestehen, weil man damit etwa bei hohen Mieten nicht weiterkommt. Um Migration unattraktiver zu machen, fordert Nehammer z. B. die Beschlagnahmung von Wertsachen bei der Einreise, um Kosten zu decken. Es solle Abschiebezentren und Verfahrenszentren im Ausland geben, eventuell auch Justizvollzugsanstalten.

Mediziner müssen in Österreich arbeiten

700 zusätzliche Kassenstellen verspricht die ÖVP, 100 zusätzliche sind ja schon zu Beginn dieses Jahres ausgeschrieben worden. Wie diese angesichts des ohnehin akuten Ärztemangels und der anstehenden Pensionierungswelle besetzt werden sollen? Es findet sich in dem Papier ein kryptischer Hinweis auf eine „Berufspflicht für ausgebildete Ärzte in Österreich“ – allerdings keine Angabe, wie diese Berufspflicht durchgesetzt werden soll. Im Visier hat die ÖVP offensichtlich jene 25 Prozent ausländische Medizinstudenten, die zu einem großen Teil in ihre Heimat zurückkehren.

Sonstiges: Von Gendern bis Stadion

„Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar Hundert Stimmen mehr zur AfD“, warnte CDU-Chef Friedrich Merz. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte an, das Gendern in Schule und Verwaltung zu untersagen. Nehammer will das Thema hier nicht der FPÖ überlassen und kündigt „das Hintanhalten von übertriebenem Gendern in der Verwaltung“ an. Gemeint ist das Binnen-I und Ähnliches.

Bei Sportfreunden möchte Nehammer mit dem Bekenntnis zu einem neuen Nationalstadion am Ball bleiben. Doch Nehammer sagt nicht, wo es gebaut werden soll, und die Standortfrage bleibt das größte Problem, da das bestehende Stadion im Prater denkmalgeschützt ist und nicht abgerissen werden kann. Die Stadt Wien als Eigentümerin will zudem lieber das alte Stadion modernisieren.

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