Hipness verwandelt sich in Hietzing zum netten Nachbarschaftsbistro, Fermentiertes zum sauren Gemüse.
Mehrere derzeit wahnsinnig angesagte Dinge kommen ausgerechnet in Hietzing, Ober Sankt Veit zusammen. Und es ist eine Art umgekehrtes kleines alchemistisches Wunder, dass aus derart geballter Hipness einfach ein nettes, lässiges Nachbarschaftslokal entsteht, wie man es sich sonst im Sechsten erwarten würde. So kann man vor allem sagen: Ja, das hat Ober Sankt Veit noch gefehlt. Aber auch nur Ober Sankt Veit. Und Döbling vielleicht. Denn dass sich diese Cantina Cucina Alchimia sperrig wie eine Klasse auf der Angewandten „Institut für experimentelle Kulinarik“ nennen muss. Dass die drei Betreiber Kunst-Design-Hintergrund haben. Dass sie Tattoos tragen. Und als Männer „gelesen“ werden können. Kennen wir mittlerweile. Erinnert an die Healthy Boy Band (Schellhorn, Mraz, Rachinger). Und selbst die waren lang nicht die Ersten in der radikalen Koch-Kunst-Behauptung.
Da gab es schon Peter Kubelka, Paul Renner, Rirkrit Tiravanija. Aber gibt es tatsächlich keine jungen tätowierten Künstlerinnen, die sich nicht zu cool zum Kochen sind? Besser gesagt zum Fermentieren? Natürlich auch die Spezialität dieses Kollektivs bzw. Küchenchefs Sendi Gbinia, der davor u. a. im Das Kraus kochte. Das eingesäuerte Gemüse, das nach eingesäuertem Gemüse schmeckt, steht hier als „Cicchetti“ auf der kleinen Karte. Was mit den venezianischen Apéro-Brötchen rein gar nichts gemein hat, leider. Aber gut, wir nehmen zur Kenntnis, hier wird nachhaltig und mit Ingredienzien gekocht, die im Keller im großen Einmachglas reifen – die Fischsauce oder eine Sojasauce aus Kürbisresten, die die etwas zähen Flanksteak-Streifen (18 Euro) geschmacklich herrlich intensivieren.
Sehr mollig auch die dicke Scheibe Blutwurst, darauf sehr kross frittiertes Erdäpfelstroh und sehr scharfe (zu kleine) Tupfen Apfelkren. Danach hätte man wohl Schweinebauch mit Schnittlauchbrot nehmen sollen, nicht den Buttermilch-Wels (16): Fish-Finger mit zu dicker Panier, Schwarze-Bohnen-Mayo hin oder her. Das Risotto mit Radiccio ginge auch als Radiccio mit Risotto durch, ist aber geschmacklich eine Bombe mit Gorgonzola-, Walnuss-, Kerbeltopping. Das ist Kantinenessen zum Gernessen. Wie man hier überhaupt gern sitzt unter dem offenen Dachstuhl. Es ist voll, laut und lustig. Der Naturwein fließt glasweise, der Espresso kostet zwei Euro. Und draußen wartet ein mächtiger Gemeinschaftstisch im Nutzgarten auf besseres Wetter. Vielleicht kommt man dann einmal wieder.
Info
Cantina Cucina Alchimia, Firmiangasse 2, 1130 Wien, Tel.: +43/(0)681 20 55 31 90, Restaurant: Mi–Sa: 16–23 Uhr. Mehr Kolumnen auf: DiePresse.com/lokalkritiken