Interview

Nehammer über Treffen mit Putin: „Er war von Massengrab und Zerstörung wenig beeindruckt“

Bundeskanzler Karl Nehammer besuchte im April 2022 das ukrainische Massengrab Butscha und später den russischen Präsidenten Putin in Moskau.
Bundeskanzler Karl Nehammer besuchte im April 2022 das ukrainische Massengrab Butscha und später den russischen Präsidenten Putin in Moskau.Clemens Fabry
  • Drucken

Berichte über das Massaker in Butscha ließen den russischen Präsidenten kalt, sagt der Bundeskanzler. Er will Österreichs Umgang mit Russland nicht als „naiv“ bezeichnen. Die Zusammenarbeit der FPÖ mit Putins Partei „Einiges Russland“ sei ein „schwerer Fehler“.

Bundeskanzler Karl Nehammer verteidigt den österreichischen Umgang mit Russland in der Vergangenheit. Österreichs Regierung als „russlandfreundlich“ zu bezeichnen, sei aber ein „zu hartes Urteil“, sagt er in einem Interview mit dem deutschen Wochenmagazin „Die Zeit“. „Aus meiner Sicht ist nachvollziehbar, welche Hoffnungen vor allem am Anfang da waren“ für eine „gute Zusammenarbeit“, so der ÖVP-Politiker. Vor allem, da der russische Präsident „sehr aufgeschlossen, jung, dynamisch wirkte“ und seine „West-Affinität“ immer wieder ausdrückte.

Diese Einschätzung gegenüber Wladimir Putin habe sich geändert. Dennoch sei Russland aus Europa nicht wegzudenken. Es werde nach dem Krieg wichtig sein, mit Russland auszukommen, so der Kanzler. „Das bedeutet natürlich auch große Beweglichkeit von der russischen Seite.“ Dass die FPÖ nach wie vor eng mit Putins Partei „Einiges Russland“ zusammenarbeite, sei für ihn „nicht erklärbar“, so Nehammer. „Ich halte das für einen schweren Fehler des FPÖ-Chefs Herbert Kickl.“

„Ich habe gehofft, Filter zu durchbrechen“

In dem Gespräch mit dem deutschen Blatt berichtet Nehammer über sein Treffen mit Putin „an einer langen Tafel“ in dessen Residenz am Stadtrand von Moskau, kurz nachdem er im April 2022 das Massengrab im ukrainischen Butscha besucht hatte, wo russische Soldaten ein Massaker an der Zivilbevölkerung verübt hatten. „Als ich über Massengrab, Zerstörung, tote Soldaten gesprochen habe, war der russische Präsident wenig beeindruckt. Auch in seiner Mimik nicht. Als es dann aber um Sanktionen und Auswirkungen für die russische Wirtschaft ging, hat es eine größere Dynamik im Gespräch gegeben“, so Nehammer.

Warum er dachte, mit seinem Besuch in Moskau etwas bewirken zu können? „Weil wir, da wir nicht Mitglied der Nato sind, nicht diesen großen Argwohn der russischen Seite gegen uns haben“, erklärt Nehammer im Interview. „Ich habe gehofft, die Filter zu durchbrechen und stärker durchzukommen.“

Nehammer sieht Schlüsselrolle der Türkei für Beendigung des Krieges

Derzeit schreibt Nehammer der Türkei eine Schlüsselrolle bei der möglichen Beendigung des Ukraine-Krieges zu. „Ich glaube, dass die Türkei nach wie vor wichtig ist, weil sie von beiden Seiten anerkannt wird (...)“, sagte er. Er skizzierte ein umfassendes Szenario, das seiner Meinung nach zur Beendigung des Kriegs führen könnte. Neben der Türkei seien „Indien oder China ganz wesentlich“, so Nehammer. „Auch die USA und dann natürlich Deutschland, Frankreich. Wenn ich dabei einen Beitrag leisten kann, werde ich das gerne tun (...)“, fügte der Kanzler hinzu.

Seinen Weg Richtung Frieden führte der ÖVP-Chef folgendermaßen aus: „Wir sehen, dass Staaten, die einen großen Einfluss haben auf die Russische Föderation, nicht die Linie des Westens teilen. Brasilien gehört dazu, Indien, China, Südafrika. Es ist wichtig, mit diesen Staaten gemeinsam eine Strategie zu entwickeln.“

Nehammer verwies auf den Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj - „das ist aus meiner Sicht die Diskussionsgrundlage“. Dies sei „die ukrainische Position“. „Die Frage ist, wie gewinnt man jetzt einen dieser Akteure, wie etwa Indien oder China, um über dieses Format nachzudenken. Wenn das gelänge, dann gibt es eine Chance, dass es tatsächlich Frieden geben kann“, meint der Kanzler.

„Ukraine massiv unterstützen“

Bis dahin sei es zugleich „so wichtig, die Ukraine massiv zu unterstützen (...) Damit die russische Seite sieht, dieser Abnutzungskrieg nützt niemandem“. Eine Lösung gebe es jedenfalls „nur mit der Ukraine. Und wenn es von der ukrainischen Bevölkerung getragen wird.“

Selenskyjs Zehn-Punkte-Plan sieht den kompletten russischen Abzug aus allen besetzten Gebieten der Ukraine vor sowie Reparationen und eine Bestrafung der Kriegsverbrecher. Die Forderung nach einem vollständigen Abzug schließt auch die von Russland annektierten ukrainischen Territorien mit ein.

Schweiz lädt zu Friedenskonferenz ein

Die Schweizer Regierung lädt zu einer zweitägigen Ukraine-Friedenskonferenz Mitte Juni ein. Das berichtete die Agentur Reuters am Mittwoch. Der Aggressor Russland hat allerdings schon klar gemacht, an dem ranghohen Treffen nicht teilnehmen zu wollen. Die Regierung in Bern hatte im Jänner angekündigt, auf Bitten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einen Friedensgipfel zu organisieren.

Im Anschluss führte die Schweizer Regierung Gespräche mit EU- und G7-Staaten sowie China und Indien, um deren Unterstützung auszuloten. Das Treffen soll voraussichtlich am 15. und 16. Juni stattfinden. (APA/red.)

>>> Interview in „Die Zeit“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.