Grätzeltour: Wilhelminenberg

Alexander Stranik ist Medienschaffender und genießt gerade deshalb die Ruhe abseits des Rummels. Die findet er in der Wohngegend rund um den Wilhelminenberg.

In Ottakring draußt in an uralten Haus, im Hof in der Speckbachergass'n, is g'lahnt ganz verstaubt, seiner Zierde beraubt, a Herrgott aus Sta ganz verlassen“, heißt es in einem beliebten Wienerlied von Karl Hodina. Der Legende nach hat er sich dazu von dem Heurigen, der sich tatsächlich in der Speckbachergasse befindet, inspirieren lassen. Im „Herrgott aus Sta“ ist auch Alexander Stranig des Öfteren anzutreffen. Den Medienschaffenden hat es vor drei Jahren an den Fuß des Wilhelminenbergs im 16. Wiener Gemeindebezirk verschlagen – und zwar aus Zufall, wie er erklärt. Die alte Bleibe nahe dem Rochusmarkt im dritten Wiener Gemeindebezirk sei zu klein geworden und das neue Objekt in der Nauseagasse – eine ehemalige Werkstatt im Innenhof eines Zinshauses mit Garten und zwei Wohnebenen – habe ihm sofort gefallen.

(c) DiePresse

Schweinsbraten vom Fleischer

An der Wiener Vorstadt gefällt dem Neo-Ottakringer die Ruhe und Abgeschiedenheit. Genug Trubel erlebt er unter der Woche in Köln, wo er mit seinem Team an den Drehbüchern für eine Daily Soap werkt, die von einem heimischen Privatsender ausgestrahlt wird. Schon bald wird der gebürtige Kärntner seine Zelte dort abbrechen und nach Berlin ziehen. Hingelockt hat ihn das Angebot eines deutschen Privatsenders, die Öffentlichkeitsarbeit für eine neue Sendung zu übernehmen. „Ottakring wird aber der Ort bleiben, wo ich am Wochenende meine Batterien aufladen kann“, hält Stranig fest.

An den Wochenenden versucht er so viel Zeit wie möglich in der Nähe seines eigenen Grätzels zu verbringen. Dann zieht es ihn meist stadtauswärts zu ausgedehnten Spaziergängen auf den Wilhelminenberg. Den Hausberg der Ottakringer – und vor allem die nähere Umgebung des Schlosses Wilhelminenberg – bezeichnet er als Energiequelle. Hier oben befindet sich auch die romantische Villa Aurora, in der er gern einen Kaffee genießt. Der herrliche Ausblick auf die Stadt zieht zahlreiche Besucher auf die knapp 500 Meter hohe Anhöhe – anders als bei anderen beliebten Aussichtspunkten wie dem Cobenzl oder dem Kahlenberg befinden sich darunter allerdings kaum Touristen. Das Gleiche gilt für die urtypischen Wiener Heurigen am sowie rund um den Wilhelminenberg, so Stranig.

Für den Kärntner gibt es auch wenig Grund, in seiner knapp bemessenen Freizeit sein Grätzel zu verlassen. Einkaufsmöglichkeiten gibt es genug: Gemüse wird auf dem Brunnenmarkt oder beim nahen türkischen Greißler gekauft. Fleisch von der Fleischerei Klaghofer in der Rankgasse bezogen, wo Wurst-, Schinken- und Selchspezialitäten nach alter Tradition hergestellt werden. Hier holt sich der Medienschaffende auch den einen oder anderen Zubereitungstipp – etwa für den köstlichen Schweinsbraten. Wie die Fleischerei wirkt hier vieles auf den ersten Blick unscheinbar. Das gilt auch für das vietnamesische Restaurant auf der Wilhelminenstraße, einen kleinen Familienbetrieb, den der Neo-Ottakringer als „erstaunlich gut“ bezeichnet.

Geht man durch die Gassen rund um den oberen Teil der Wilhelminenstraße, wird offensichtlich, dass der Gentrifizierungsprozess auch hier längst Einzug gehalten hat. Anders als am Brunnenmarkt scheint die Bobo-Dichte allerdings noch überschaubar zu sein. Jedenfalls erstrahlen viele Häuser frisch saniert oder verputzt in neuem Glanz. Gleichzeitig bezeugen kahle Stellen zwischen den Häuserzeilen die Tatsache, dass etliche Altbauten abgerissen werden, um neuen Projekten Platz zu machen. Stranig hat zudem den Eindruck, dass die Zahl der Altmieter sukzessive abnimmt, während langsam, aber sicher das Preisniveau steigt.

Im Herrgott aus Sta merkt man noch nichts von den anscheinend unaufhaltbaren Entwicklungen in den umliegenden Gassen. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Und genau das schätzt Stranig ja, wenn er nach einer aufreibenden Arbeitswoche in aller Ruhe sein geliebtes Tröpferl genießen will.

INFO

Von einer Gentrifizierung blieb das Grätzel am Fuß des Wilhelminenbergs im Gegensatz zum Brunnenmarkt-Viertel bisher eher verschont. Nach den Preisen für Eigentumswohnungen zu urteilen scheint der Bezirk aber stark im Kommen zu sein. Bei mittlerem Wohnwert im Erstbezug zahlt man laut aktuellem Immobilienpreisspiegel der WKO derzeit durchschnittlich 2933 Euro, das sind 13,6 Prozent mehr als noch im Jahr davor und der höchste Zuwachs aller Bezirke Wiens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2014)

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