"Ice Bucket Challenge": Kalte Dusche für den guten Zweck

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Warum schütten sich Leute wie Bill Gates und Andrä Rupprechter Eiswasser und Schnee über den Kopf? Und hilft das wirklich im Kampf gegen ALS?

Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) hat ein bisschen geschummelt: Statt sich einen Kübel Eiswasser über den Kopf zu leeren, zerrieb er einen Klumpen Schnee auf dem Kopf. Dafür sei er extra auf die Hohe Munde gestiegen, erklärte er im zugehörigen Video (wobei er zu erwähnen vergaß, dass er gestern ohnehin mit einem Festakt die Sicherungsarbeiten an der Lawinenverbauung auf dem Tiroler Berg feierte). Die Ungenauigkeit mag verziehen werden, immerhin geht es um einen ernsten Hintergrund und einen guten Zweck. Denn die Aktion generiert Aufmerksamkeit: für ALS, also Amyotrophe Lateralsklerose, eine Nervenerkrankung, die zur völligen Lähmung und zum Tod führt.

Seit einigen Wochen kursiert die sogenannte Ice Bucket Challenge in den sozialen Netzwerken, die zuletzt auch in Österreich populär geworden ist. Bei einer Challenge handelt sich um eine Art Kettenbrief 2.0., über den man konkrete Leute öffentlich nominiert, etwas zu tun und sich dabei zu filmen. Sogenannte Cold Water Challenges sind das Phänomen dieses Sommers – und fordern Leute dazu auf, irgendetwas zu tun, das mit kaltem Wasser zu tun hat (womit Rupprechter mit seinem Schnee also wieder nicht so falsch liegt). Die aktuelle Ice Bucket Challenge verbindet nun die eher pubertäre Aufforderung „Schütte dir einen Kübel Eiswasser über den Kopf“ mit einem altruistischen Oder, also: entweder Eiswasser oder eine Spende für ALS.

Frieren und/oder spenden

Wobei das sehr viel zynischer klingt, als es wohl gemeint ist. Denn eigentlich wäre es ja kein Grund, auf sozialen Netzwerken damit anzugeben, dass man so ziemlich alles lieber macht, als zu spenden. Diese widersinnige Logik löst sich insofern, als solche Kampagnen auf zwei Ebenen funktionieren: einerseits Aufmerksamkeit zu erzeugen (die man nur durch Videos von Prominenten bekommt), andererseits Spenden zu generieren. Weshalb manche Eiskübel-Videostars pflichtschuldig ergänzen, dass sie ohnehin auch gespendet haben.

Wie zum Beispiel Rupprechter, der übrigens Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) und Noch-Gesundheitsminister Alois Stöger via Twitter nominiert hat. Auch ÖBB-Chef Christian Kern hat schon seinen Kübel Eiswasser hinter sich (er wurde von ORF-Moderator Armin Wolf aufgefordert, der seinerseits von zwei Seiten eine Herausforderung erhalten hatte). Kern hat nun ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka nominiert. Und so fort.

International gibt es mittlerweile kaum einen Prominenten, der sich den publicitytauglichen Kneipp-Guss nicht verpasst hat, von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg über den (von ihm nominierten) Microsoft-Gründer Bill Gates bis hin zu Justin Timberlake und Justin Bieber. Hätte dieser nicht zum Kübel gegriffen, um im nassen weißen Unterhemd sein Sixpack zu zeigen, viele junge Leute hätten nie von der Krankheit ALS gehört, argumentieren Unterstützer. Selbst Ärzte würden die Krankheit oft nicht kennen und sie deshalb falsch diagnostizieren, sagt Hakan Cetin, Neurologe an der Medizin-Universität Wien. Er hofft nun auf steigendes Interesse der Pharmafirmen, Medikamente zu entwickeln – und auf mehr Spendengelder. An der Wiener Universitätsklinik für Neurologie wurde erst kürzlich ein Spendenkonto für ALS-Forschungen eingerichtet. Ein großes nationales ALS-Netzwerk wie in angloamerikanischen Ländern gebe es in Österreich nicht. Die US-amerikanische ALS Association (alsa.org) vermeldete gestern dank Ice Buckets 15,6 Millionen Dollar an Spenden seit 29. Juli – im Vergleich zu 1,8 Millionen, die sie in dieser Zeit sonst einnimmt.

Berühmtester Eiskübel-Verweigerer ist übrigens Barack Obama, der lieber gleich spendete – verständlich, immerhin hatte Ehefrau Michelle, die für die #Bringbackourgirls gegen die Boko-Haram-Sekte mit einem Schild posierte, Spaßvögeln im Internet eine Steilvorlage für allerlei Verfremdungen des Fotos geliefert.

Bleibt der fahle Beigeschmack der Kurzlebigkeit von solchem Hashtag-Aktivismus. Allerdings kommt das Thema ALS demnächst auch ins Kino. Beim Filmfestival in Locarno wurde der deutsche Film „Hin und Weg“ vorgestellt. Das tragisch-komische Roadmovie dreht sich um ALS und aktive Sterbehilfe. Die Hauptfigur Hannes (Florian David Fitz) ist daran erkrankt. Er will eine letzte Radtour mit Frau und Freunden unternehmen. Das Ziel der Reise ist Belgien, wo aktive Sterbehilfe per Injektion erlaubt ist. In Österreich startet der Film jedoch erst, wenn ALS in den sozialen Netzwerken vermutlich schon lang kein Thema mehr sein wird: am 24. Oktober.

Auf einen Blick

ALS: Derzeit leiden 900 Österreicher an ALS, das ergab eine noch nicht publizierte Studie der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Wien. Wobei der durchschnittliche Kranke 65 Jahre alt ist. In 90 Prozent der Fälle weiß man nicht, warum die Krankheit auftritt: „Umwelteinflüsse oder eine genetische Disposition können der Auslöser sein“, sagt Hakan Cetin, Mitautor der Studie. Bei ALS sterben die Nervenzellen, die die Muskeln aktivieren, ab. Das führt zu schrittweisen Lähmungen, bis der Patient nicht mehr schlucken und atmen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2014)

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