EU-Finanzhilfen für Osteuropa stoßen auf rechtliche Hürden

Es ist den EU-Staaten verboten, gegenseitig für ihre Schulden zu haften. Wollen die Regierungen Osteuropa helfen, sind sie von einer Institution abhängig, die sie gerade in letzter Zeit nicht pfleglich behandelt haben: der EU-Kommission.

WIEN. Ironiker können der Finanzkrise einen erfreulichen pädagogischen Effekt abgewinnen. Immerhin dürfte die Wichtigkeit hoher Bonität nun mehr Bürgern bewusst sein als noch vor einem Jahr.

Die wahrheitsgetreue Darstellung der staatlichen Zahlungsfähigkeit ist einer der zentralen Pfeiler, auf dem die Wirtschafts- und Währungsunion ruht. Wenn es einen gemeinsamen Markt und eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Budgetpolitik gibt, dann braucht es zumindest einen klaren Anzeiger dafür, ob die EU-Mitglieder im Allgemeinen und die Länder der Eurozone im Speziellen vernünftig mit dem Geld ihrer Steuerzahler umgehen.

Das steht auch so im EG-Vertrag, dem Gründungsdokument und Kern der EU. Artikel 103 verbietet es den Staaten ausdrücklich, gegenseitig für Verbindlichkeiten zu haften oder für sie einzutreten.

Das ist sinnvoll. Erstens schreckt es notorische Schuldenmacher ab, auf Teufel komm raus Anleihen zu begeben in der Hoffnung, die anderen Staaten würden im Fall der Zahlungsunfähigkeit einspringen. Zweitens ist es ein klares Signal an die Kreditgeber der Staaten (die Banken), ihre Risikoaufschläge ohne Bedachtnahme auf etwaige Haftungen der anderen EU-Staaten zu berechnen, sagt Stefan Griller, Leiter des Europainstituts an der Wirtschaftsuniversität Wien, zur „Presse“. Sprich: Je höher die Schulden, desto höher die Zinsen. Dieser Artikel 103 („No-Bail-Out-Regel“ genannt) bestimmt nun erstmals das Handeln der EU – und er steht dem allzu raschen Schnüren eines „Ost-Hilfspakets“ im Weg. Denn er sagt: keine gegenseitige Haftung für Schulden – also auch nicht für eine gemeinsame EU-Anleihe, wie sie laut dem „Spiegel“ im deutschen Finanzministerium erwogen wird (dieses dementiert).

Doch es gibt einen Ausweg. Artikel 100 Absatz 2 des EG-Vertrages sieht vor, dass die Staaten auf Vorschlag der EU-Kommission einem Mitgliedstaat „einen finanziellen Beistand gewähren können“, falls dieser „aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen“ oder „ernstlich bedroht“ ist – was in Ungarn oder Rumänien zweifellos der Fall ist.

EU-Rechtsexperte Griller meint, dass in der gegenwärtigen Notlage „ziemlich eindeutig“ diese Sonderbestimmung den Vorzug vor der „No-Bail-Out-Regel“ hat. Spannend ist aber der Umstand, dass die Staaten auf die Initiative der Kommission angewiesen sind: jener Institution also, der sie gerade in jüngster Vergangenheit mit protektionistischen Subventionsideen in die Parade gefahren sind.

Brüssel ist am Drücker

„Die Kommission hat hier eine sehr starke Position“, sagt Griller. Die werde auch nicht durch den Umstand geschwächt, dass ihr Präsident José Manuel Barroso eine zweite Amtszeit anstrebt und dabei auf die Staaten angewiesen ist. „Die Staaten werden sehr vorsichtig sein, mit der Frage der Wiederwahl zu drohen.“

Bequem ist diese Machtposition für die Kommission nicht, gibt Griller zu bedenken. Sie muss bei der Gestaltung eines Hilfspakets „beachten, dass sie den Staaten nicht einerseits strenge Budgetmaßnahmen vorschreibt und dann andererseits selber gegen diese Prinzipien verstößt“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2009)

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