Ein Fall für die Neigungsgruppe Mehlspeisen

Mehlspeisenküche
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Wie soll sich Österreichs Küche positionieren? Vielleicht mit Mehlspeisen statt mit Gemüseraritäten. Unser Fundus an Ideen aus Milch und Mehl ist nämlich tatsächlich einzigartig.

Gegentrends haben sich schon oft bewährt. Auch in der Spitzenküche. Nach der Molekular-Ära, die von spanischen Köchen wie Ferran Adrià ausgegangen war, kam die radikal pure (und in Skandinavien staatlich unterstützte) Naturküche des Noma und ähnlicher Lokale: mit nackten Rüben statt Kalziumchlorid. Diese stringente chemiebaukastenlose Inszenierung von Wurzeln, Blut oder Fjord-Grünzeug auf dem Teller hat Skandinavien international auf die Landkarte guten Essens gesetzt. Und hat in Dänemark und Schweden auch dem Tourismus einen Schub versetzt. Ähnliches wurde etwas später etwa in Lima versucht – Latinoküchen wie die peruanische oder die mexikanische gelten heute als stilbildend, man pflegt ein völlig neues Selbstbewusstsein. Ceviche, mit Zitrussäure gegarter roher Fisch, ist mittlerweile auch in österreichischen Küchen Thema. Man adaptiert das Latinogericht mit Süßwasserfisch und heimischen Säuren wie Verjus und verbreitet so bereitwillig die kulinarische Identität eines weit entfernten Kulturkreises.

Kein Wunder, dass man in Österreich stirnrunzelnd auf den skandinavischen und den lateinamerikanischen Erfolg schielt und sich für das eigene Land Ähnliches wünscht: internationale Aufmerksamkeit durch reisende Foodies und Meinungsmacher, die die entdeckten Tellerkonzepte auf diversen medialen Kanälen dokumentieren und vielleicht auch andere dazu anstiften, in diese oder jene Gegend zu fahren – des Essens wegen, besser gesagt, einer klar definierten Küche wegen.


Süßer Gegentrend. Österreich hätte da aber ohnehin etwas zu bieten – und es sind vielleicht weniger die omnipräsenten alten Gemüsesorten, als sich das manche wünschen. Wir haben eine unglaublich vielfältige Kultur der (warmen) Mehlspeisen, die international tatsächlich einzigartig ist. Und hätten somit zugleich einen Gegentrend. Oder auch gleich zwei. Mehlspeisen – süße und salzige – wie Topfen-Serviettenknödel, Millirahmstrudel oder Semmelschmarren (um nur einige zu nennen, der Fundus ist weitaus größer) strotzen nämlich nicht nur so vor den geächteten Lebensmitteln Milch und Mehl. Die österreichischen süßen Mehlspeisen sind auch ein Gegenpol zu den derzeitigen Desserttrends.


Müßiggang statt Technik. Die Nachspeisenteller der ambitionierten Gastronomie sind nämlich vielerorts nur mehr ein pubertärer Aufmarsch an Technik. Sie enthalten „hausgemachtes“ Sorbet, für das Convenience-Fruchtpüree in ein Wundergerät namens Pacojet geworfen wird. Es sind lächerliche Tellerlandschaften aus süßen Schwämmen, Brocken, Kügelchen und Pulvern, die nur dank diverser Hilfsmittelchen hergestellt werden können, bestehend aus rohen Gemüsehobeln oder geschmacklich faden, aber spektakulär in Form gespritzten Cremes. International austauschbare und emotional kalte Techno-Desserts, die für die Gäste mitunter mehr Denkarbeit als schwelgerischen Müßiggang am Ende eines Menüs bedeuten. Wenn diese ewig gleiche Nachspeisen-Unkultur geändert werden kann, dann in Österreich.

Einem Land, wo die Lebensmittel Milch und Getreide landschaftsbeherrschend sind und immer schon die Alltagsküche dominiert haben. Dass junge Köche hier nicht schon längst einen Schwerpunkt gesetzt haben, ist einerseits dem ewigen Schielen auf weltweite (Dessert-)Trends zuzuschreiben und andererseits der Allergikerhysterie. Mit Milch als dominierender Zutat hat man bei vielen Gästen einfach ein Problem, sind sich Köche einig.

Dabei ist ein bedeutender Teil unseres kulinarischen Erbes von ein paar wenigen Zutaten geprägt: Topfen, Obers, Grieß, Mehl, Brösel. Die Vielfalt an eigenständigen Gerichten im jahrhundertealten heimischen Nachspeisenfundus ist trotz der kleinen Zutatenliste überwältigend: Kärntner Türkentomale, Lungauer Rahmkoch, Tiroler Weinnudeln, Wiener Wäschermädeln, Grießschmarren, Mostknödel, Powidltascherl, Schusterbuben, Arme Ritter, Grammeltorte, Vierlingsstrudel... Österreich hat hier einen Schatz, den es zu heben, mit einer ordentlichen Portion Witz ins Jetzt zu übertragen und natürlich auch dementsprechend zu kommunizieren gilt.

Wundern würde der Fokus auf Mehlspeisen in der internationalen Gourmetszene wohl niemanden: Österreich ist für Kaiserschmarren und Salzburger Nockerln schon bekannt. Darauf lässt sich eine neue Nachspeisenkultur sehr nachvollziehbar aufbauen, die Beschäftigung mit jahrhundertealten Rezepten ist spätestens seit dem diesbezüglichen Engagement des britischen Kochstars Heston Blumenthal auch wieder salonfähig.


Milchvielfalt. Manche Köche haben sich freilich vom Kulturgut Mehlspeisen erst gar nicht entfernt: Jörg Wörther etwa, einer der bedeutendsten Köche des Landes, der seit Mai 2013 wieder ein eigenes Lokal hat. Am Stadtrand von Salzburg bietet er eine Dessertkarte, die so mehlspeisenlastig ist wie hierzulande selten. Mit Schwarzbeerkoch, Topfenknödeln, Apfelradeln, Nussschmarren. „Man braucht immer eine Topfenmehlspeise auf der Karte. Unbedingt! Oder auch eine mit Topfen und Grieß, die Kombination ist unglaublich.“ Milch sollte in der österreichischen Spitzenküche schon längst ein größeres Thema sein, meint Wörther. „Allein die regionalen Unterschiede und die Vielfalt, die es da gibt. Milchprodukte schmecken in Bayern schon anders als bei uns in Salzburg.“

Die Wandlung der österreichischen Dessertküche ist für Wörther ganz klar festzumachen: „Uns fehlen heute die warmen Nachspeisen. Stattdessen werden Winkel und Zirkel ausgepackt, es dominieren Cremes und Gelees.“ Die Restaurantpatisserie habe sich der Confiserie angenähert, was man auch an den allgegenwärtigen Petit fours am Ende eines Menüs ablesen kann. „Es traut sich keiner mehr einen Schmarren zu machen, einen Auflauf, ein Soufflé. Bei mir sind die Desserts immer mehlspeislastig. Den Nussschmarren kann ich gar nicht weglassen, weil die Leute, auch wenn es draußen 35 Grad hat, trotzdem nach dem Nussschmarren schreien. Interessant eigentlich, oder?“

Baumwollnudeln

„Man nimmt 105 Gramm Butter und 105 Gramm Mehl, knetet es miteinander gut ab, kocht 3 1/2 Deciliter Obers, legt das Abgeknetete hinein, läßt es gut kochen, rührt es aber beständig; wenn es ausgekocht ist, gibt man es in einen Weidling, treibt es mit sechs Dottern gut ab, gibt von sechs Klar den Schnee und Zucker nach Belieben dazu. Dann mache man Nudeln daraus, backe sie schön gelb aus dem Schmalz, gebe in eine Casserolle eine Lage Nudeln, dann eine Lage Koch, wieder eine Lage Nudeln, und so fort, bis alles darin ist, backe es alsdann schön, und gebe es mit Zucker bestreut zur Tafel.“

Woher der Name der Süßspeise stammt, ist nicht bekannt. Das Rezept findet sich in dem historischen Kochbuch „Elisabeth Stöckel's österreichisches Universal-Kochbuch“ aus dem Jahr 1922.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2015)

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