Flüchtlingsdebatte: Der Kater nach dem EU-Gipfel

Juncker und Orbán werden trotz Geplänkels für die Kameras keine engen Freunde mehr.
Juncker und Orbán werden trotz Geplänkels für die Kameras keine engen Freunde mehr.(c) REUTERS
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EU in "keinem guten Zustand", "teilweise anstrengend", "unzumutbar". Die Stimmung beim sonntäglichen Gipfel war gereizt. Nicht alle Staaten suchen den Dialog.

In der Nacht auf Montag rangen sich die EU-Staaten zu einem 17-Punkte-Plan in der Flüchtlingskrise durch. Doch die Stimmung dürfte nicht besonders konstruktiv gewesen sein. Wortmeldungen der letzten Tage zeigen, wie gespalten die EU ist. Am Dienstag war die Flüchtlingskrise Thema im EU-Parlament.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich in seiner Rede im Parlament mehr als skeptisch über die Lage der EU gezeigt - diese sei "in keinem guten Zustand". Das Sonntags-Treffen mit acht EU-Staaten zur Westbalkanroute hätte im Normalfall gar nicht stattfinden müssen. "Der Normalfall müsste doch sein, dass die Westbalkanstaaten statt übereinander zu reden miteinander reden würden." Er habe deshalb die Länder gebeten, sich um einen Tisch zu versammeln und die Probleme regional und bilateral anzusprechen.

"Nicht einmal ein Ausnahmefall"

Angesichts von Zwischenmeldungen des Gipfels vom Sonntag hätte nach außen der Eindruck entstehen können, "als ob wir es mit einem Zerwürfnis und einer endgültigen Spaltung der EU in zwei oder mehrere Teile zu tun hätten". Aber "das ist nicht einmal ein Ausnahmefall gewesen. Das ist ein Nicht-Fall gewesen, dass EU-Staaten nicht über gemeinsame Probleme reden. Das zeigt, dass die EU in keinem guten Zustand ist".

Die Aussprache am Sonntag-Gipfel sei "teilweise anstrengend gewesen", so Juncker. Und "nicht jedes Gespräch und nicht jede Wortmeldung entspricht der Qualifizierung eines Dialogbeitrags". Aber er sei trotzdem jedem Teilnehmer dankbar, "dass wir uns insofern zusammengerauft haben", als deutlich gemacht wurde, dass "wir Europa nicht gegeneinander aufbauen können, nur miteinander".

"Verpflichtungen einhalten"

Der EU-Kommissionspräsident forderte die Staaten vor dem Gipfel in La Valetta (Malta) mit den afrikanischen Partnern auf, "dort nicht mit vollen Taschen nur voller Versprechungen" aufzutreten, sondern die Verpflichtungen auch einzuhalten. "Ob es passt oder nicht, ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen mit der Türkei zusammen arbeiten. Die Türkei braucht drei Milliarden Euro". Ohne eine Einigung mit der Türkei werde die Lage wesentlich schwieriger als es derzeit der Fall sei.

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat nach der Debatte im Europaparlament zur Flüchtlingskrise die Staaten aufgefordert, die regulären Verfahren durch Notmaßnahmen zu ersetzen. Das Bewusstsein dazu sei aber noch nicht in allen EU-Staaten dafür ausgeprägt, meinte er.

"Keinen Geist der Zusammenarbeit"

EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos rief die Staaten auf, ihren Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen nachzukommen. Es gebe "immer noch keinen wirklichen europäischen Geist der Zusammenarbeit". Allerdings "können wir es uns nicht leisten, keinen Erfolg zu haben".

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn fand die deutlichsten Worte. Das Treffen führender Politiker von zehn EU-Ländern und den drei Nicht-EU-Mitgliedern Albanien, Serbien und Mazedonien am Sonntag habe aus zwei Halbzeiten bestanden. "Die erste Halbzeit war zum Teil unzumutbar. Man hat Uneuropäisches gehört." Einigen Ländern am Tisch sei es mehr darum gegangen, was man tun müsse, um sich abzuschotten, statt sich den Herausforderungen zu stellen. "Das Problem ist ja, mit solchen Einstellungen gewinnt man Wahlen." Die zweite Halbzeit des Treffens sei "rationaler" und "europäischer" gewesen, schilderte Asselborn.

Orbán nur "Beobachter", kein Betroffener

Ungarns nationalkonservativer Ministerpräsident Viktor Orbán, der die Grenzen seines Landes mit Zäunen abgeschottet hat, sieht sein Land außen vor. Er sei nur noch "Beobachter" - und nicht Betroffener - der Krise. Der ungarische Zaun hat dazu geführt, dass Migranten auf andere Länder wie etwa Serbien, Kroatien und Slowenien ausweichen. Diese kleinen Länder sind damit überfordert und lassen die Flüchtlinge, deren Ziel häufig Deutschland ist, einfach weiterreisen.

In der Debatte im EU-Parlament selbst kamen von den Abgeordneten vor allem Aufrufe an die EU-Staaten, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Kritisiert wurde, dass angesichts eines "Menschenstroms der Verzweiflung" Situationen entstünden, in denen "Migranten wie Straffällige behandelt" würden. Die Flüchtlingsströme würden auch nicht aufhören, wenn die EU den Grenzschutz anderen Ländern oder gefährlichen Schlepperbanden überlasse. Auf der anderen Seite wurde auch Kritik an einer "falschen humanitären" Einstellung geäußert, wo einige "der Welt nur zeigen wollen, wie human sie sind, aber den Flüchtlingen wird tatsächlich nicht geholfen". Generell wurde die Langsamkeit der Problemlösung bemängelt.

Es wird in nächster Zeit noch eine Reihe an Minister- und Gipfeltreffen in der EU zur Flüchtlingskrise geben. Schon am 9. November werden die EU-Innenminister wieder zu einem Sondertreffen zusammenkommen, um über weitere Schritte zu beraten. Am 11. und 12. November wollen die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Flüchtlingsgipfel in Malta mit den Herkunftsländern in Afrika beraten.

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