Ölpreis: Der Fluch des schwarzen Goldes

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Der niedrige Ölpreis destabilisiert auf Dauer die Opec-Staaten, auch die Erzfeinde Iran und Saudiarabien. Den korruptionsanfälligen Systemen fehlt das Geld, um die Untertanen ruhig zu halten.

Kairo. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) verlor bei ihrem letzten Treffen mit den Finanzministern der Golfstaaten keine Zeit mit Höflichkeiten. „Die Energiepreise werden für viele Jahre niedrig bleiben“, erklärte Christine Lagarde vor der erlauchten Männerrunde und mahnte sie, ihre Haushalte darauf einzustellen und die Abhängigkeit von Öl und Gas spürbar zu verringern. Denn die goldenen Zeiten sind erst einmal vorbei. Dazu beigetragen haben viele Faktoren: der Boom der Frackingtechnik, der Umstieg auf alternative Energien, der Wirtschaftsabschwung in China und die Konfrontation der beiden Opec-Giganten Iran und Saudiarabien, die seit anderthalb Jahren jede Drosselung der Produktion verhindert.

Bei den arabischen Ölnationen sprudeln bis zu 90 Prozent der Staatseinnahmen aus dem Boden. Verzeichneten die sechs Mitglieder des Golfkooperationsrats, Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Saudiarabien und Emirate, 2013 noch einen kollektiven Haushaltsüberschuss von 182 Milliarden Dollar, waren es 2014 nur noch 24 Milliarden, bevor ihre Etats 2015 mit 180 Milliarden heftig ins Minus rutschten. Allein im saudischen Haushalt klaffte 2015 ein Rekordloch von nahezu 100 Milliarden Dollar.

Reformen in guten Zeiten verabsäumt

Dabei hat die Region paradiesische Zustände hinter sich. Im vergangenen Jahrzehnt flossen 2700 Milliarden Dollar in die Taschen der Könige und Monarchen, die sie zum Teil in Form von üppigen Gehältern, Subventionen und lukrativen Wohlfahrtszahlungen an ihre Untertanen weiterreichten. Nach Erhebungen des IWF sind allein diese Ausgaben zwischen 2008 und 2013 um 550 Milliarden Dollar gestiegen. So blieb der Veränderungsdruck gering, die Korruption exorbitant, der Aufbau neuer Wirtschaftszweige oberflächlich und halbherzig. Durch das viele Geld sei eine Art von Betäubung entstanden, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten „Manifest für Wandel“ des saudischen Vizekronprinzen, Mohammed bin Salman, das gleichzeitig anprangert, 30 Prozent der Staatsausgaben würden verschwendet.

Aber auch Arbeitsmarktreformen und Berufsbildung kommen nicht voran. Praktisch die gesamte Privatwirtschaft in den sechs Golfstaaten wird von ausländischen Arbeitskräften betrieben, die die Hälfte der insgesamt 50 Millionen Einwohner ausmachen. Keine andere Weltgegend nutzt Migranten in solchen Dimensionen und mit solchen jährlichen Zuwachsraten. Die meisten arbeiten in Saudiarabien, wo ihr Anteil bei 35 Prozent liegt. In Kuwait sind es 70 Prozent, in den Kleinstaaten Dubai, Abu Dhabi und Katar sogar zwischen 80 und 90 Prozent. Der einheimische Nachwuchs dagegen strebt nur auf die betulichen Sessel im öffentlichen Dienst, hat völlig irreale Gehaltsvorstellungen oder sitzt arbeitslos zu Hause. Entsprechend gewaltig sind die inneren Herausforderungen, vor denen die superreichen Staaten stehen.

Irak führt kostspieligen Krieg gegen IS

Der Irak, der einen kostspieligen Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) führt, hat bereits im vergangenen Jahr allen Kommunen die Finanzzuweisungen um 90 Prozent gegenüber 2014 gekürzt. „Es wird ein schwieriges und hartes Jahr für uns alle“, schwor Finanzminister Hoshyar Zebari die Bevölkerung auf weitere Reduzierungen ein. Saudiarabien engagiert sogar die Unternehmensberater von McKinsey, die dem Land für die nächsten 15 Jahre einen rapiden wirtschaftlichen Verfall vorausgesagt haben, wenn alles so weiterlaufe. In einem ersten Schritt, dem sich auch alle anderen Golfstaaten anschlossen, wurden nun die Subventionen für Benzin, Strom und Wasser gestrichen.

An Einschnitte bei den üppigen Gehältern jedoch traut sich bisher niemand, die Einführung einer Einkommensteuer wird gar nicht erst erwogen. Stattdessen machte Saudiarabien Anfang des Jahres Schlagzeilen mit dem Plan, Teile des staatlichen Ölkonzerns Aramco an die Börse zu bringen, um die Einnahmeausfälle aufzufangen.

Staatshaushalte abhängig von Öl

Denn auch die harte Konfrontation mit dem Erzrivalen Iran auf der anderen Seite des Persischen Golfs kostet viel Geld. Beide verfeindeten Ölvolkswirtschaften haben ähnliche Strukturprobleme: exorbitante Korruption, verfallende Staatseinnahmen, hohe Arbeitslosigkeit und eine wenig effiziente Privatwirtschaft. Irans Staatshaushalt ist ebenfalls viel zu abhängig vom schwarzen Gold, auch wenn das Land wegen seiner veralteten Förderanlagen nur ein Drittel der saudischen Fördermenge auf den Weltmarkt bringen kann. Die Islamische Republik braucht jeden Dollar, um ihre von Sanktionen ruinierte Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Und Irans Präsident, Hassan Rohani, steht unter hohem Druck, das frustrierte 78-Millionen-Volk in eine stabile wirtschaftliche Zukunft zu steuern.

Seinen Landsleuten gegenüber gibt sich der gewiefte Kleriker eisern optimistisch. Mit dem Atomabkommen habe seine Regierung ihr Versprechen erfüllt, sagte er kürzlich in einer im Fernsehen übertragenen Rede in Bushehr, wo Irans bisher einziges Atomkraftwerk steht. „Ich verspreche der iranischen Nation, dass dieses Jahr ein Jahr mit wirtschaftlichem Wohlstand und Wachstum wird.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2016)

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