Russland ist angezählt, doch Putin bleibt unangefochten

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Der Ölpreisverfall hat die Wirtschaftskrise verschärft. 2016 wird schlimm, 2017 vielleicht noch schlimmer. Putin ist deshalb aber nicht gefährdet.

Wien. Wer meint, dass der Ölpreisabsturz und die grassierende Wirtschaftskrise in Russland für Wladimir Putin politisch schon bald gefährlich werden könnten, wird sich vermutlich täuschen. Denn der Kreml-Chef kann immer noch auf seine Kommunikationsprofis setzen – und auf das Psychogramm der Bevölkerung, die ihren Präsidenten nach wie vor in Ehren hält.

„Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation ist noch nicht ausreichend, um die Beziehung zu Putin wesentlich zu ändern“, sagt Alexej Graschdankin, Vizechef des Meinungsforschungsinstituts Levada-Centre, zur „Presse“: „Putins Vertrauenskredit ist noch lang nicht ausgeschöpft.“

Verzicht im Interesse größerer Ziele

Daran haben die Spindoktoren einen wesentlichen Anteil. Von Anfang an wurde Putin mit dem Image ausgestattet, dass an Fehlentwicklungen nicht er schuld ist. Laut Graschdankin hat er genug Möglichkeiten, andere zu beschuldigen: den Premier, den Minister, den Ölpreis, westliche Sanktionen. Entscheidend sei, dass er Handlungsfähigkeit zeige sowie unmittelbar auf alles reagiere: „Was er dabei sagt, ist schon sekundär.“

Natürlich streut die Politik – im Unterschied zu Ökonomen – dem Volk Sand in die Augen, indem sie von einer kurzen Durststrecke spricht. Andererseits wissen die Bürger aus der Erfahrung früherer Krisen, dass russische Unternehmer im Unterschied zum Westen die Werke nicht schließen (dürfen) und sich lediglich mit Kürzungen oder verzögerter Auszahlung von Löhnen behelfen.

So kommt es, dass einer Levada-Umfrage zufolge 82 Prozent sehr wohl die Krise als solche wahrnehmen und Zweifel sowie Ängste steigen, aber gleichzeitig 85 Prozent – also auch ein beträchtlicher Teil der zuvor als liberal und westenfreundlich ausgegebenen Mittelschicht – Putins Tätigkeit billigen.

Damit liegt sein Rating auf jenem Niveau, das es im Frühjahr 2014, also durch die Annexion der Krim, ausgehend von gut 60 Prozent erreicht hat. Dass gleichzeitig „nur“ knapp 60Prozent meinen, die Situation im Land bewege sich in die richtige Richtung, ist in Russland aufgrund Putins Rolle kein Widerspruch. Vielmehr bestätigt auch dieser Umfragewert die Tendenz, denn in den Jahren vor der Krim-Annexion hatten nur um die 40 Prozent gedacht, die Richtung passe. „Wie in der Sowjetzeit“, so Graschdankin: „Für die außenpolitische Stärke ist man bereit, auf andere Annehmlichkeiten zu verzichten.“

Ölpreisverfall zur absoluten Unzeit

Der Preis dafür wird freilich höher. Schon 2015 sind die real verfügbaren Einkommen konjunktur- und inflationsbedingt – erstmals seit 2000 – zurückgegangen. Für heuer prognostiziert das Wirtschaftsministerium minus 3,7Prozent. Hat Ex-Finanzminister Alexej Kudrin, Russlands Kassandra und Putins Freund in Personalunion, abermals recht, so steht der Gipfel der Krise noch bevor. Da der Wohlstand sinke, sei ein Rückgang der Konsumnachfrage zu befürchten, die andernfalls ein Wirtschaftsmotor hätte sein können. Ja, und über alle Jahre auch war. Der Ölpreisverfall hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können. Auch so nämlich ist Russlands Wachstumsmodell Ende 2012 an seine Grenzen gestoßen, ohne dass die Bedingungen für ein investitionsgetriebenes, neues Modell geschaffen worden wären. Das Wachstum bremste sich also schon ab 2013 ab, erreichte 2014 gerade noch 0,6 Prozent, ehe es 2015 – als der Ölpreis und die Sanktionen voll durchschlugen– in eine Rezession von minus 3,9 Prozent mündete. Für 2016 hat das Wirtschaftsministerium nun ein Minus von 0,8 Prozent prophezeit, indem es statt 50 Dollar je Barrel realistischere 40 Dollar veranschlagt hat.

Auch beim Budget, das nur den Verteidigungssektor schont, wird bereits nachgebessert und die Ölpreisprognose von bisher 50 auf 40 Dollar je Barrel gesenkt. Bisher nämlich konnte die Regierung die Brisanz der rückläufigen Einnahmen aus dem Rohstoffverkauf insofern kaschieren, als die Rekordabwertung des Rubel den Effekt ausgabenseitig abfederte. Nun aber sind zehn Prozent zusätzlicher Ausgabenkürzungen vorgeschrieben und weitere angedacht, so die Zeitung „Wedomosti“. Bleibe der Ölpreis bei 30Dollar, werde das Budgetdefizit statt der veranschlagten drei Prozent sechs Prozent betragen, warnt Kudrin: Steuererhöhungen seien unumgänglich.

Eine Frage der Reserven

Über eine möglicherweise steigende Unzufriedenheit im Establishment – vor allem unter Geschäftsleuten – liegen laut Graschdankin keine Daten vor: Das habe mit der Angst zu tun, Unmutsäußerungen mit negativen Folgen für das Geschäft zu bezahlen. Eines wisse man aber fix: Sowohl Establishment als auch Volk hätten gern ein baldiges und zumindest von den USA zuletzt in Aussicht gestelltes Ende der westlichen Sanktionen.

Wirtschaftlich geht es 2016 in Russland jedenfalls ans Eingemachte. Und trotzdem könnte es diversen Ökonomen zufolge 2017 noch schlimmer kommen. Der Grund: Die internationalen Währungsreserven, die in den besten Zeiten bei 600 Mrd. Dollar gelegen sind, betragen immerhin noch 368 Mrd. Dollar. 2016 könnten man auf Teile davon zurückgreifen. 2017 dann nicht mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2016)

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