Die Staats- und Regierungschefs der EU konnten sich trotz stundenlanger Verhandlungen nicht auf ein Reformpaket für Großbritannien einigen. Ratspräsident Tusk sieht aber "Fortschritte".
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich trotz stundenlanger Verhandlungen nicht auf ein Reformpaket für Großbritannien einigen können. „Wir haben einige Fortschritte gemacht, aber eine Menge muss noch getan werden", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk bei einer Pressekonferenz um 2.30 Uhr am Freitag in Brüssel. Zudem kündigte er weitere bilaterale Treffen an - erst mit dem britischen Premierminister David Cameron, dann mit Frankreichs Präsidenten Francois Hollande. Am Vormittag sollen dann wieder alle Staats- und Regierungschefs zu Beratungen zusammenkommen.
Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi sagte in der Nacht, er sei weniger optimistisch als vor Beginn der Beratungen. Nach Ansicht der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel haben aber alle EU-Staaten den Wunsch, Großbritannien in der EU zu behalten. Einzelne Punkte des Reformpakets fielen bestimmten Mitgliedsländern jedoch nicht leicht. Gerungen werde beispielsweise über die Frage, wie lange die sogenannte Notbremse gelten soll, mit der EU-Ausländer von Sozialleistungen in Großbritannien ausgeschlossen würden.
Der Hintergrund: Cameron will mit dem Reformpaket im geplanten Referendum in seinem Land für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU werben und so einen „Brexit" verhindern. Wie ernst es ihm damit ist, zeigt ein Bericht der Nachrichtenagentur PA unter Berufung auf Quellen in der Regierung. Demnach soll Cameron gesagt haben, dass er, solle es keine „echten Fortschritte" geben, notfalls auch ohne Vereinbarung nach Hause fahren wolle.
Das zähe Ringen sehen Beobachter aber nicht nur inhaltlich motiviert. Bei einer raschen Einigung müsste sich Cameron von EU-Kritikern in der Heimat den Vorwurf gefallen lassen, er habe nicht hart genug verhandelt. Austrittsbefürworter bekämen dadurch auch Aufwind. Einen weiteren Grund für das schleppende Tauziehen stellt laut dem ORF die Flüchtlingskrise (während der Nacht einigte man sich auf einen Sondergipfel Anfang März mit der Türkei) dar. Sie käme immer wieder auf den Tisch und verzögere die Gespräche in Sachen Großbritannien, wird berichtet.
Streitpunkte in den "Brexit"-Verhandlungen
Doch wo hakt es inhaltlich? Offen war unter anderem bis zuletzt, wie lange es Großbritannien erlaubt werden solle, eine geplante „Notbremse" zu ziehen. Damit will die Regierung in London zugewanderten EU-Bürgern bestimmte Sozialleistungen für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vorenthalten. Das Vorhaben wird mit einer außergewöhnlich Zuwanderung von EU-Bürgern nach Großbritannien begründet.
Als weiteres Streitthema galten Details einer geplanten Neuregelung zum Kindergeld. Diese soll es Großbritannien, aber auch allen anderen EU-Staaten ermöglichen, Zahlungen für im Ausland lebende Kinder an die Lebenshaltungskosten im Aufenthaltsland des Kindes anzupassen. London forderte bis zuletzt, dass die Regelung sofort auf alle Kindergeldzahlungen angewendet werden kann. Mittel- und osteuropäische Staaten wollen dagegen, dass die Neuregelung erst bei Neuanträgen fällig wird.
In Großbritannien arbeiten viele Polen und Tschechen, deren Familien weiter in der Heimat leben. Diese sollen nach Willen der Regierung in Warschau und Prag nicht unter den Plänen leiden. Keine Einigung gab es zunächst auch über Vorschläge, nationalen Parlamenten stärkere Einspruchmöglichkeiten gegen EU-Vorhaben einzuräumen.
(APA/dpa/Reuters/AFP)