Der Giftgaskrieg des IS gegen Kurden

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IRAQ-CONFLICT(c) APA/AFP/MARWAN IBRAHIM
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Die Extremisten des Islamischen Staates setzten verstärkt Senf- und Chlorgas ein. Bei mehreren Attacken wurden Dutzende Menschen verwundet, ein dreijähriges Mädchen starb.

Mehrere Tage lang kämpfte Fatima Samir im Krankenhaus um ihr Leben. Dann verstarb das dreijährige Mädchen an Lungen- und Nierenversagen. Fatima Samir ist Opfer des jüngsten Chemiewaffenangriffs im Norden des Irak. Es war nach ersten Erkenntnissen Senfgas, mit dem der Ort Taza südlich der Stadt Kirkuk attackiert wurde. Die Angreifer saßen im Nachbarort Bashir, dort wo die Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) das Kommando haben.

Immer wieder hat der IS in den vergangenen Monaten Giftgas gegen Gebiete eingesetzt, die von den Peshmerga der nordirakischen Kurdenregion kontrolliert werden. „Wir haben gemeinsam mit der internationalen Koalition gegen den IS Blutproben von Opfern ausgewertet. Damit konnten wir bereits fünf Chemiewaffenangriffe bestätigen. In drei weiteren Fällen laufen noch die Untersuchungen“, gibt die Kurdische Regionalregierung im Nordirak auf Anfrage der „Presse“ bekannt. Bei den Attacken hat der IS Chlorgas und Senfgas verschossen.

Taza bei Kirkuk ist nicht der einzige Ort, der in den vergangenen Wochen vom IS mit chemischen Kampfstoffen heimgesucht wurde. Auch bei Makhmur und der Jesiden-Stadt Sinjar gingen Granaten und Raketen mit Giftgas nieder.

IS baut Fähigkeiten aus

„In Sinjar wurden dabei mehr als 250 Peshmerga und zehn Zivilisten verwundet“, heißt es aus dem Peshmerga-Ministerium der Kurdischen Regionalregierung. Bisher verlief der Großteil der Angriffe nicht tödlich. Doch im Peshmerga-Ministerium geht man davor aus, dass der IS gerade dabei ist, seine Fähigkeiten für C-Waffeneinsätze weiter auszubauen.

Das Senf- und Chlorgas, das der IS verschießt, dürfte von den Jihadisten selbst erzeugt werden. Der Chef des deutschen Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, sagte bereits Ende 2015, dass der IS die Laboreinrichtungen an der Universität in Mossul für die Herstellung von Kampfstoffen nutzen könnte.

Die kurdische Nachrichtenagentur Rudaw berichtet, dass das bisher eingesetzte Senfgas vor allem in Pulverform produziert worden ist. Das Pulver wird mit Granaten verschossen und bei deren Explosion verstreut. Es schädigt alle Personen, die damit direkt in Kontakt kommen. Die große Sorge: Die IS-Jihadisten könnten technisch hochstehendere Methoden entwickeln, um chemische Kampfstoffe zu verbreiten.

Die Giftgasattacken haben vor allem auch einen psychologischen Effekt – gerade bei Nordiraks Kurden. Denn die verheerenden Angriffe mit C-Waffen durch die Truppen des irakischen Machthabers Saddam Hussein Ende der 1980er Jahr sind für sie soetwas wie ein kollektives Trauma.

Gedenken an Halabja-Massaker

So beschworen führende Vertreter der Kurdenregion am Mittwoch die Einigkeit der Kurden im Kampf gegen den IS – an dem Tag, an dem zugleich des Massakers in Halabja gedacht wurde. Am 16. März 1988 bombardierten Iraks Streitkräfte die kurdische Stadt an der Grenze zum Iran mit chemischen Waffen an. Rund 5000 Menschen – vor allem Zivilisten – starben.

Der Giftgasangriff auf Halabja vor 28 Jahren war der Höhepunkt einer langjährigen Unterdrückungspolitik durch das Saddam-Regime. In den 1980er Jahren tobte der Krieg zwischen den Nachbarländern Irak und Iran. In dieser Zeit verstärkten auch Iraks Kurden, die mehr Eigenständigkeit verlangten, ihren Widerstand gegen Bagdad. Und dabei erhielten sie nun auch Hilfe von Saddam Husseins Kriegsgegner Iran.

Saddams Vernichtungsfeldzug

Iraks Diktator reagierte auf den Aufstand mit einem Vernichtungsfeldzug gegen die Kurden. Im Zuge der sogenannten „Anfal“-Operationen wurden zigtausende Menschen umgebracht oder in Lager deportiert. Die irakische Armee machte unzählige kurdische Dörfer dem Erdboden gleich. „Halabja ist ein Symbol der Unterdrückung der Kurden“, schrieb der Präsident der Kurdenregion, Massud Barzani, am Mittwoch auf Twitter. Und es sei auch heute nicht vergebens, Opfer zu bringen, bekräftigte der Kurden-Präsident.

Barzani hat bereits in den vergangenen Monaten anklingen lassen, dass er ein Referendum über eine völlige Unabhängigkeit der Kurdenregion anstrebt. Dafür bedarf es aber auch noch einiger diplomatischer Überzeugungsarbeit bei Nachbarmächten wie der Türkei und dem Iran aber auch innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Und dafür muss auch noch der IS besiegt werden. Die Jihadisten sind auf den Schlachtfeldern der Region bereits deutlich zurückgedrängt worden. Der Einsatz von Giftgas dürfte zum letzten militärischen Aufbäumen der Extremistenorganisation gehören.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2016)

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